Geheimnis in Weiß von J. Jefferson Farjeon

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warmerSommerregen
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Geheimnis in Weiß von J. Jefferson Farjeon

Beitrag von warmerSommerregen »

Zeitreise in ein abgelegen eingeschneites, nicht eingestaubtes, englisches Landhaus

Nahe dem Dorf Hemmersby bleibt an Heiligabend ein Zug im immer stärker werdenden Schneegestöber stecken. In einem Abteil dritter Klasse beratschlagen ein paar Reisende daher, ob sie einfach abwarten und somit ein wohlmöglich viel zu spätes Ankommen bei Freunden, Verwandten und so weiter riskieren sollen, oder ob sie vielmehr den Zug verlassen und sich selbst auf die Suche nach dem kleinen Dorf zu machen. Nach einigem Überlegen und Für und Wider beschließen sie jedoch, einen Versuch zu wagen und sich aufzumachen. Während die Schneeschicht alles bedeckt und stetig dicker wird, irren die Passagiere durch die weiße Einöde. Als sie, völlig erschöpft und zum Teil kränkelnd, auf ein Landhaus stoßen, entschließen sie sich, Zuflucht zu suchen. Die Türe steht bereits offen, im Kamin lodert ein wohlig-warmes Feuer, der Tisch ist zum Tee gedeckt, die Vorratskammer ist gefüllt und die Zimmer sind bestens hergerichtet. Doch niemand ist anwesend, was angesichts des starken Schneetreibens, der Abgeschiedenheit des Hauses und den vielen Indizien, welche von Bewohnern zeugen, sehr verwundert. Offensichtlich war noch vor Kurzem jemand hier – und wartete auf Gäste..?
Die Schutzsuchenden richten sich nach und nach ein, erstellen Listen, in denen sie penibel alle ge- und verbrauchten Gegenstände aus dem Haus eintragen und einem von ihnen dafür zu zahlenden Bertrag zuordnen.
Bereits die Zusammenstellung verschiedener Persönlichkeiten – vom Nörgler, der bereits alles in viel schlimmer durchlebt und gemeistert hat, bis zur Revuetänzerin – trägt zu einigen Spannungen bei. Dass sie aufeinander angewiesen sind, können manche nicht gut verkraften… Als dann aber noch einige rätselhafte Gegenstände auftauchen und sich einst geschlossene Türen plötzlich öffnen lassen, beginnen einige der gestrandeten Passagiere Ermittlungen anzustellen. Was hat es beispielsweise mit dem Gemälde im Eingangsbereich auf sich? Alles scheint ein potenzieller Beweis für etwas zu sein – ist das auf dem Boden liegende Brotmesser etwa bedeutsam?
Nach einer Weile betritt dann auch noch der etwas fadenscheinige, offensichtlich lügende Cockney Mr. Smith das eingeschneite Haus. Dass mit ihm etwas ganz und gar nicht stimmt, wird schnell deutlich.
Stück für Stück bemerken die Reisenden, dass sie es mit einem, wenn nicht sogar mehr, Morden zu tun haben… Werden sie den Täter überführen können?

Der Beginn, die Kapitel aus dem steckengebliebenen Zug, erinnerten durchaus an ein Werk Agatha Christies. Und auch die Ergebnisse ausgiebigen Kombinierens hätten so in dem ein oder anderen Kriminalroman der Queen of Crime gefolgert werden können.
Allerdings unterscheidet sich dieses Werk bereits durch die Zusammenstellung der Charaktere. Da wären der unscheinbare und alles andere als selbstbewusste Buchhalter Mr. Thomson, die Geschwister David und Lydia Carrington, wobei sich letztere im Landhaus aufopferungsvoll um die (kranken) Passagiere kümmert, der ältere Mr. Maltby, der für die Königlich Parapsychologische Gesellschaft unterwegs ist und als erster zu ermitteln beginnt, der nörgelnde Mr. Hopkins oder die Revuetänzerin Jessie Noyes. Diese Figuren haben alle ihre Besonderheiten, sodass das Miteinander phasenweise recht schwer wird, sie sich zu anderer Zeit aber auch bestens ergänzen. Manche wachsen an den Ermittlungen, andere treten zunehmend in den Hintergrund und verblassen wie Mr. Thomson nach und nach. Dabei gibt es gelegentlich auch bissige Dialoge, beispielsweise wenn der gescheite Mr. Maltby die Stumpfsinnigkeit Mr. Hopkins‘ kritisiert und auf die Schippe nimmt.
An den sehr prunkvollen Schreibstil musste ich mich zunächst gewöhnen, da die Sätze im Vergleich zu anderen Büchern schon recht ausgeschmückt und dementsprechend lang geraten sind – selbst sehr Banales wird häufig stark paraphrasiert. Manchmal, besonders wenn eine dieser ausführlichen Beschreibungen direkt im Anschluss relativiert wird, war dies für mich leseflusshemmend. Wenn beispielsweise eine Tat spekuliert wird und noch im gleichen Atemzug eine Aussage im Stile „es kann aber auch nichts bedeuten und ganz anders gewesen sein“ getroffen wird, ist das dann schon etwas irre führend; gerade da eben derart viele Themen aufgegriffen werden. Allerdings gewöhnte ich mich zunehmend an diese Erzählweise und konnte den Schreibstil fortan – mit wenigen Ausnahmen – genießen. So merkt man dem Buch an, dass es aus dem Jahre 1937 stammt.
„Die Wahrheit ist das höchste Gut der Welt – und das vernachlässigteste.“ (S. 240)
Tatsächlich gilt es einige Geheimnisse zu lüften, jedoch darf man sich bei der Lektüre nicht gerade einen temporeichen Kriminalroman erhoffen, bei dem ein Ereignis das nächste jagt. Vielmehr ist das Erzählte ruhig und immer wieder undurchsichtig wie ein kleines Schneegestöber selbst. Vor allem, da die Ausführungen nicht chronologisch die Geschehnisse wiedergeben, muss man gelegentlich inne halten und das Gelesene rekapitulieren, um in die Geschichte eine Ordnung und Zusammenhänge bringen zu können. Zeitweise hatte das Buch seine Längen, was ich etwas schade fand… Interessant ist hingegen der Aufbau der Erzählung, da diese sich sowohl aus Dialogen, als auch aus Tagebucheinträgen und Briefen zusammensetzt.
Bis auf wenige Ausnahmen wie den Beginn, spielt sich die Handlung im Landhaus ab, sodass die Kulisse stets dieselbe bleibt und so ziemlich jedes Detail analysiert wird. Auch dies ist manchmal spannend, manchmal etwas ermüdend. Hin und wieder hatte ich das Gefühl, die Ermittlungen steckten auch tief im Schnee und kämen nur schwerlich von der Stelle… Die Idee des abgelegenen Landhauses inmitten von meterhohem Schnee ist so aber vielversprechend und atmosphärisch.
Betrachtet man das – oder die – Verbrechen an sich, so sieht man zwar keinen atemberaubend ausgeklügelten Fall mit zahlreichen Fallen und Wendungen vor sich, aber dennoch einen runden, abgeschlossenen Fall mit seinen Überraschungen. Die ruhige Geschichte passt von ihrer Ruhe gut in die Advendszeit.

Alles in allem kein sonderlich actiongeladener oder blutrünstiger Kriminalroman, wobei dieser Anspruch aber auch zu keiner Zeit erhoben wird, sondern viel mehr ein ruhiges Buch voller detailverliebter Beschreibungen und sehr ausgeschmücktem Schreibstil.

3,5/5 Sternen
Geschwindigkeit ist zu schlafen, wenn andere noch gähnen. (Aus: Für Eile fehlt mir die Zeit)

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