Sofia Mai: Herzklopfen im Ländle. Roman

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Vandam
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Sofia Mai: Herzklopfen im Ländle. Roman

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Sofia Mai: Herzklopfen im Ländle. Roman, Köln 2023, Emons Verlag, ISBN 978-3-7408-1941-5, Softcover, 435 Seiten, Format: 13,7 x 2,7 x 20,5 cm, Buch: EUR 14,00 (D), EUR 14,40 (A), Kindle: EUR 10,99.

„Warum sitzt du denn da auf dem Boden?“
Was sollte sie sagen? Weil ich krank bin vor Sorge. Weil ich verzweifelt bin und nicht mehr weiß, was ich mit dir machen soll. Weil mich das hier alles fürchterlich überfordert. Weil mein ganzes Leben gerade im Chaos versinkt, all meine Routinen nicht mehr funktionieren und meine Karriere den Bach runtergeht.
„Rebellion“, erwiderte sie kraftlos.
(Seite 253)

Zwei ungleiche Schwestern

Von klein auf sind die Rollen der Schwestern Leonie (42) und Sabine (39) Reiter klar verteilt: Leonie ist die Kluge, Brave und Vernünftige – und geradezu beängstigend rational. Die quirlig-chaotische Sabine kriegt dagegen privat und beruflich überhaupt nichts auf die Reihe, hat eine Teenie-Tochter, deren Vater sie verschweigt und wurstelt sich als Grundschullehrerin in Teilzeit, Gemüsebäuerin und Betreiberin eines Hofcafés durchs Leben.

Nicht, dass das die Eltern der beiden Schwestern jemals interessiert hätte! Die mussten als Juristen ständig die Welt retten. Für sowas Lästiges und Nebensächliches wie ihre Kinder hatten sie keine Zeit. Die haben sie umgehend zur Oma „outgesourct“. Also, Sachzwänge sind ja das eine – aber diese Gleichgültigkeit ist schon sehr betrüblich!

Leonie lebt in Ulm und ist am dortigen Amtsgericht als Richterin tätig. Sie ist artig in die Fußstapfen der Eltern getreten. Aber ihre Karriere stagniert. Ein Studienfreund vermittelt ihr eine Hospitation in Finnland, mit der sie ihren Lebenslauf ein bisschen aufpeppen soll. Doch sie schafft es nicht einmal bis in den Flieger: Noch am Flughafen in Stuttgart ereilt sie die Nachricht, dass ihre jüngere Schwester bei der Obsternte von der Leiter gefallen sei und schwer verletzt im Krankenhaus liege.

Die Reaktion der Eltern, die seit ihrer Pensionierung im Ausland leben: Nein, sie können auf gar keinen Fall nach Deutschland kommen und sich um Sabine und deren Angelegenheiten kümmern. Wichtige Termine! Aber sie haben sofort eine Lösung für Tochter, Enkelin und Hund parat: Pflegeheim, Kinderheim, Tierheim.

Landleben statt Amtsgericht

Unfassbar! Leonie ärgert sich, dass sie überhaupt angerufen hat. Und jetzt? Okay: Die Zeit, die sie in Finnland verbracht hätte, kann sie auf jeden Fall nutzen um bei Sabine in Gütlingen – einem kleinen Dorf in der Nähe von Tübingen – das Notwendigste zu regeln. Und dann sieht man weiter.

Nach dem ersten Schock findet Sabines Tochter Amelie (14) es toll, dass jetzt die coole Tante aus der Stadt auf dem Hof das Kommando hat. Doch die hat so gar nichts vom lockeren Laissez-Faire der Mutter. Morgens rumtrödeln? Schule schwänzen? Den Hund vernachlässigen und nichts in Haus und Garten machen? Nix da! Bei Tante Leo weht ein anderer Wind – und das Pubertier wird immer bockiger.

Sabines Rekonvaleszenz zieht sich. Es wird Monate dauern, bis sie wieder nach Hause kann und es ist unklar, was an körperlicher Behinderung zurückbleiben wird. Zur Sorge um die Schwester kommt bei Leonie noch die Überforderung. Sie hat keine Kinder, sie weiß nicht, wie man mit einem pubertierenden Mädchen umgeht. Sie kann zwar einen Haushalt führen, nicht aber ein Café, und mit Sabines riesigem Gemüsegarten kennt sich die Stadtpflanze erst recht nicht aus.

Leonie ist überfordert

Zum Glück gibt’s ein paar Frauen im Ort, die das Hofcafé ehrenamtlich über Wasser halten wollen, bis Sabine wieder fit ist. Und Max Häfner, Zimmermann und Hobby-Obstbauer, sorgt gern dafür, dass Sabines Garten nicht verwildert – und dafür, dass Leonie ein bisschen was über das Leben auf dem Land lernt. Die Richterin schätzt Max‘ Hilfe – und findet ihn ganz schön attraktiv. Was natürlich blöd ist, weil ihre jüngere Schwester ältere Rechte hat und weil sie doch in Kürze sowieso wieder zurück nach Ulm geht.

„In Kürze“ … das ist das Stichwort! Sabine wird sehr viel länger ausfallen als Leonie frei hat. Was soll sie tun? Die Nichte bei einer Freundin wohnen lassen, den Labrador beim Pfarrer einquartieren, Hof und Café in die Hände von Nachbarn und Freunden geben und zurück nach Ulm gehen? Oder sich für ein halbes Jahr von ihrer Arbeit freistellen lassen? In ihrem Beruf wäre das möglich.

Beruf oder Familie?

Die pflichtbewusste Leonie tendiert dazu, in Gütlingen bei Nichte, Hund und Hof zu bleiben, und erlebt jetzt, was familiäre Sorgearbeit in der Gesellschaft wert ist: nämlich nix. Alle sind entsetzt darüber, dass sie ihre Karriere in den Wind schießen will, denn von einer mehrmonatigen Auszeit für familiäre Nothilfe wird sie sich angeblich beruflich nie wieder erholen. Leonie ist jetzt erst klar geworden, was Sabine mit Beruf, Kind, Hof und Café all die Jahre geleistet hat und es macht sie wütend, dass das offenbar nichts gilt.

Eine schwierige Situation für alle Beteiligten, die nicht einfacher wird, als Leonie in die finanziellen Verhältnisse ihrer Schwester Einblick nimmt …

Frisch verliebt und missverstanden

Bei der Geschichte mit dem attraktiven Zimmerermeister wären meiner Meinung nach viele Missverständnisse durch eine klare Frage/Antwort unter den Schwestern vermeidbar gewesen. Aber wenn alle Leute rechtzeitig vernünftig miteinander reden würden, statt sich in Mutmaßungen zu ergehen und Verwicklungen zu produzieren, gäb’s gar keine Liebesromane. 😉 Das habe ich akzeptiert und gespannt darauf gewartet, dass die endlich mal miteinander Tacheles reden. Ja, und natürlich darauf, welche berufliche Entscheidung die Richterin trifft. Denn das war für mich das eigentliche Thema der Geschichte: Welchen Stellenwert räumt man im Leben dem Beruf und der Familie ein? Wo liegen die Prioritäten? Was unweigerlich zu der Frage führt, warum Care-Arbeit so geringgeschätzt wird.

Mir hat’s gut gefallen. Auch der Gastauftritt des Tübinger Staatsanwalts und seiner Frau, die ich beide aus einer Krimireihe der Autorin kenne. Ich mag sowas. Schwäbisch muss man übrigens nicht verstehen, um der Geschichte folgen zu können. Kein Mensch schwätzt hier Dialekt. Sich in Tübingen und Umgebung auszukennen, ist beim Lesen sicher ein Bonus, aber zwingend notwendig ist es nicht.

Was mich jetzt noch interessiert hätte: Was stimmt denn nicht mit dem Kauf beziehungsweise der Finanzierung von Sabines Bauernhof? Was verheimlicht sie vor ihrer Familie? Ich habe zwar eine Vermutung, wer da die Finger drin haben könnte, aber aufgelöst wird die Frage nicht.

Die Autorin

Sofia Mai lebt mit ihrem Mann in einem Dorf am Rande des Naturparks Schönbuch bei Tübingen und liebt das Leben auf dem Land. Nach einem Studium und verschiedenen beruflichen Stationen begann sie 2005 zu schreiben. Unter anderem Namen hat sie bereits zahlreiche Kriminalromane, Kurzkrimis und Ausflugsführer veröffentlicht.
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