Storyteller - Amazon, TTIP und Self Publishing

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williwu
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Registriert: Mi 18. Mai 2011, 01:11

Storyteller - Amazon, TTIP und Self Publishing

Beitrag von williwu »

Es klingt wie ein Traum. Man schreibt ein Buch, veröffentlicht es über Amazon, es wird gekauft. Plötzlich ist man Autor, verdient Geld mit der Schreiberei und wird von einem Verlag entdeckt. Das kann passieren, bei Amazon. Nachdem der Quasi-Monopolist für den E-Book-Bereich seinen eigenen Verlag gegründet hat, werden solche Träume - für einige Wenige - wahr.

Aber was sind das für Bücher? Nach welchen Kriterien wird entschieden, welches Buch, welcher Autor, welches Genre und welche Qualität gut für den Leser und natürlich gut für Amazon sind? Was passiert mit einem solchen Autor, wenn das dritte Buch gleicher Machart dann langweilig wird? Wenn sich der Geschmack der Leserschaft ändert? Warum gehen viele Autoren dann, wenn's läuft, weg von Amazon? Warum findet man in den USA in kaum einer Buchhandlung eine Veröffentlichung aus dem Amazon-Verlag (und mit welchen Tricks schafft es das Kaufhaus sein Zeugs dann doch da hineinzubringen)? Was tut Amazon für den Autor, welche Leistung erbringt der Internetriese?

Und was zum Teufel hat TTIP damit zu tun? (Das Zauberwort heißt: Buchpreisbindung.)

Hierzu habe ich eine interessante Dokumentation gesehen, die ich euch nicht vorenthalten möchte. Dabei möchte ich betonen: Wer den Weg mit Erfolg geht, hat vielleicht alles richtig gemacht. Ich will das nicht verdammen oder absolut ablehnen. Das Problem ist mMn weniger die Methode an sich, als das Streben von Ämmäsin nach einer Monopolstellung. Denn wer sich an ein Monopol bindet ist fix abhängig und unter Umständen schneller wieder unten, als eine heiße Kartoffel fallen kann. Kann es nicht sein, dass die Leser Kompromisse machen, weil sie günstige Dutzendware lieber konsumieren als etwas teurere Qualität?

Hier der Link zum Thema (der Film ist aus irgendwelchen Gründen etwas klein geraten, aber mit Mediathekview kann man ihn auch in ganzer Größe sehen, etwas verpixelt): http://www.hr.gl-systemhaus.de/video/fs ... _73513.mp4

Jedenfalls: Sich einen albernen englischen Namen wie Emily Bold zu geben und - vielleicht stilistisch ganz gut aber dennoch nur - schmusige Plattitüden zu schreiben, um bei Amazon (und nur dort) Erfolg zu haben, scheint mir nicht ausreichend. Auch der berüchtigte "Blick ins Buch" lässt nichts wirklich Gutes erahnen. Beispiel gefällig? Der Anfang des Nackenbeißers "Der Sehnsucht wildes Herz":
Ein kalter Lufthauch wehte über ihre Wade. Das Laken blähte sich im Wind, und eine Gänsehaut breitete sich auf Sarahs Körper aus. Mit einer schnellen Bewegung wurde ihr Nachtgewand nach oben geschoben, und eine Hand legte sich fest auf ihren Mund, um den Schrei zu ersticken, der ihrer zugeschnürten Kehle hätte entweichen können.

Mit vor Angst geweiteten Augen sah sie in das von nachtschwarzem Haar umgebene Gesicht über ihr. Stahlgraue Augen schienen sie zu verschlingen. Sie wollte sich wehren, aber ein schwerer, männlicher Körper presste sie in das Stroh ihrer Matratze und ließ ihr kaum genug Luft zum Atmen.

„Sei still, Querida“, flüsterte der Mann in ihr Ohr, und seine Zunge fuhr heiß ihren Hals hinab. „Ich habe heute deinen Blick gespürt“, murmelte er, als er die Bänder am Halsausschnitt ihres Leibchens löste. „Konnte spüren, wie sehr du dich nach einem Mann sehnst.“

Sarahs Puls raste. Sie wand sich unter ihm und konnte deutlich seine harte Männlichkeit an ihrem Schoß spüren. Der dünne Stoff zwischen ihren Körpern stellte fast kein Hindernis dar, und seine dunklen Bartstoppeln kratzten, als er seinen Mund auf ihren presste. Er leckte an ihren Lippen, während seine Hände hitzig ihren unerfahrenen Leib erkundeten. Sarah stöhnte erschrocken auf, als seine raue Hand ihre Brust umfasste. Diese Gelegenheit nutzte er und ließ seine Zunge genüsslich in ihren Mund gleiten.
Ojinaa
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Re: Storyteller - Amazon, TTIP und Self Publishing

Beitrag von Ojinaa »

Nun ja. Sowas ist die moderne Form des Groschenromans in schlechterem Wortsinn. Fanfiktion-Niveau in besserem Sinne.
Der Vorteil dieses Weges ist ohne Zweifel, dass niemand, der sich hinsichtlich der Verkaufschancen irren kann, filtert. Der Nachteil ist, dass die Leser in der Groschenroman-Szene festgehalten werden - gut für die Schreiber dieser Fan-Sachen, schlecht für die anderen Autoren.

Alles in allem ist das amazon-Ding nur die Zuspitzung überall ablaufender Prozesse, die dank Internet möglich wurden.
Science Fiction und mehr: www.jonRomane.de
Ojinaa
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Re: Storyteller - Amazon, TTIP und Self Publishing

Beitrag von Ojinaa »

"schneller Vorlauf inklusive ;-)"
… manchmal das Beste am „Werk"
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williwu
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Re: Storyteller - Amazon, TTIP und Self Publishing

Beitrag von williwu »

@Pitbull:

Eigentlich habe ich gar nicht philiosophiert, schon gar nicht über die USA - das ist nur der Ort, an dem die Bücher gedruckt werden. Ich habe viel mehr die Fragen, die der Film aufwirft, in einem begleitenden Text aufgenommen. Und ich gehe nicht, weder vorsätzlich noch fahrlässig, davon aus, dass Lisa Müller oder Amazon den Weltmarkt erobern wollen. Für mich stellt sich - unabhängig davon, was die einzelnen wollen - die Frage, ob das Ausschalten eines Lektorats, einer Bearbeitung bzw. Überarbeitung oder eine Vorabschätzung der Verkaufschancen durch die Vertreterversammlung sinnvoll ist. Ich finde die Frage auch nicht überflüssig, das meinst du ja wohl mit "obsolet", aber natürlich darf man auch der Meinung sein sein, dass allein die Verkäufe über Amazon - wie auch immer die zustande kommen - den Wert eines Buches bestimmen.

Ob diese Bücher als E-Book oder als gedrucktes Werk herauskommen, ist mir dabei völlig egal. Es sind die Autoren in dem Film, die dem gedruckten Buch den Vorzug geben und ihre eigene Seriosität offenbar damit verbinden. Was immer ich meine, der Wandel zur digitalen Welt hat damit gar nichts zu tun, da musst du mich komplett falsch verstanden haben.

So ganz kann ich nicht sehen, was dein Statement mit meinem Beitrag überhaupt zu tun hat - ich habe den Film nicht gedreht.

Dass allerdings "Emily Bold" mit ihren Texten außerhalb der Kritik auch an dieser Vertriebsform stehen soll, mag ich nicht zustimmen.

Vielleicht wäre es besser gewesen, den Link ohne Begleittext einzustellen?
williwu
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Re: Storyteller - Amazon, TTIP und Self Publishing

Beitrag von williwu »

Vielleicht wäre es besser gewesen, den Begleittext ohne den Link einzustellen ;-)
Worin hätte da der Sinn bestehen sollen? Nur, damit du dann begründeter meinen Text bekritteln als lieber auf den Film eingehen kannst?

Ansonsten hast du absolut recht, auch wenn das ebenfalls nichts mit dem Film, den ich vorstellen wollte, zu tun hat.

Was übrigens die komfortablen Merkmale eines arrivierten Verlages angeht, da bin ich nicht so sicher, ob viele Autoren die schätzen. Man muss sich mit einem Lektor auseinandersetzen und Änderungen an seinem Buch vornehmen, man hat keinen Einfluss auf die Gestaltung und nicht mal auf den Buchtitel. Und am Ende bekommt man pro Buch netto 0,50 bis 1,00 EUR pro verkauftem Buch, letzteren Betrag nur, wenn man schon etwas bekannter ist. Das alles dauert, und wenn man dann seine Autorenschaft mit nur 2000 Exemplaren und nur einer Auflage begießt, dann ist das Geld bald weg.

Da ist Amazon natürlich bequemer, die stellen nur die Plattform zur Verfügung, was man dort als Buch einstellt, wie es aussieht und wie der Inhalt rüberkommt, ist denen komplett egal. Da können sie locker 70 % brutto vom VK zu dem günstigen luxemburgischen Mehrwertsteuersatz an den Autor weitergeben, so dass sich Verkaufspreise von 3,00 bis 4,00 EUR immer noch reichlich lohnen. Viel- und Schnellschreiber, die ihre Leserschaft gefunden haben, werden so keine Millionäre, aber rechnen tut's sich besser. Ich habe ja gesagt, dass jeder, der so sein Geld verdient und Erfolg hat, alles richtig macht - bis auf das Schreiben vielleicht.
Ojinaa
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Re: Storyteller - Amazon, TTIP und Self Publishing

Beitrag von Ojinaa »

„Ich habe ja gesagt, dass jeder, der so sein Geld verdient und Erfolg hat, alles richtig macht - bis auf das Schreiben vielleicht.“
Stimmt. Aber Qualität zählt heute nicht mehr, solange nur ein gewisser Mindeststandard erreicht ist (das T-Shirt nicht schon nach dem 1. Waschen zerfällt oder man beim Buch nicht über allzu schlimmes Kauderwelsch stolpert). Das ist verdammt ärgerlich, aber wohl in absehbarer Zeit nicht zu ändern. Jedenfalls nicht als Massenerscheinung.
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williwu
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Re: Storyteller - Amazon, TTIP und Self Publishing

Beitrag von williwu »

Yep! Lässt sich nicht ändern, aber wenigstens erkennen.
williwu
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Re: Storyteller - Amazon, TTIP und Self Publishing

Beitrag von williwu »

Mit "man" meinte ich jeden, der das auf sich bezieht, zB Amazon (mal als Person gesehen), denn sonst würden sie ja so nicht handeln. Wenn ich dich gemeint hätte, hätte ich dich direkt angeredet. Ich finde es eben nur nicht überflüssig, sich darüber wenigstens Gedanken zu machen und diese auch zu äußern.
madamunu
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Re: Storyteller - Amazon, TTIP und Self Publishing

Beitrag von madamunu »

"Vielleicht stilistisch ganz gut", also selbst das Sentiment finde ich etwas übertrieben. Für meinen Geschmack absolut flach geschrieben und erdacht. Das ist auch der Grund warum ich schon so lange an meinen ersten Werk arbeite. Ich denke mir, die Welt ist einfach zu voll mit schlechten Büchern.
Spul nochmal zurück und fangen wir von vorne an, diese Kassette hat einen Hänger.
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spiralnebel111
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Re: Storyteller - Amazon, TTIP und Self Publishing

Beitrag von spiralnebel111 »

So oder so auf den "kalten Lufthauch auf der Wade" kann ich locker verzichten.
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