Nina 1. Kapitel

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Martina
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Registriert: Fr 23. Sep 2005, 10:22
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Nina 1. Kapitel

Beitrag von Martina »

Schnaufend schloss ich die Wohnungstüre auf und setzte meinen Koffer ab. Natürlich hatte ich wieder einmal zu viele Klamotten in den Kurzurlaub mitgenommen. Ich trat ein und blieb erschrocken stehen. Susi, meine Mitbewohnerin, war zwar noch nie ein Ausbund an Ordnung. Welchem Chaos ich mich jedoch jetzt beim Betreten unserer Küche gegenüber sah, spottete jeder Beschreibung. Alle Tassen, Teller, Gläser - kurzum das gesamte Geschirr - lag am Boden zerstört (genau wie ich bei diesem Anblick). Nicht ein heiles Teil, wohin mein rechtes Auge blickte. (Das linke hatte ich vorsorglich zugekniffen). Damit der Schock aber gleichmäßig verteilt wurde, schloss ich nun das rechte Auge und öffnete das linke, um ins Wohnzimmer zu sehen. Wie befürchtet, war auch hier das Chaos perfekt. Zerrissene Kissen, Gardinen und Vorhänge lagen in trügerischer Eintracht auf dem Boden. Na wenigstens der Tisch war noch heile (es lebe Ikea-Qualität).

Voll von schlimmen Vorahnungen betrat ich mein Schlafzimmer und war hoch erfreut, dass sich meine Ahnungen diesmal nicht erfüllt hatten. Es war zwar noch genauso unaufgeräumt wie am Morgen meiner Abreise, aber wenigstens war nichts kaputt.

Susis Zimmer war für mich normalerweise in ihrer Abwesenheit tabu. Doch heute überlegte ich, ob ich wohl eine Ausnahme machen könnte. Meine Phantasie zeigte mir Susis makel- aber leider leblosen Körper inmitten ihrer Satinbettwäsche in ihrem Blute liegend. Oder war sie erdrosselt worden und ein seidener Schal um ihren Hals hatte ihr junges (kann man das mit 25 Jahren noch guten Gewissens sagen?) Leben jäh beendet.

Hoffentlich habe ich jetzt keinen falschen Eindruck erweckt, so dass der mehr oder weniger geneigte Leser denkt, er sei in einem Etablissement gelandet. Ich fürchte, dass der Schock meinem Realitätssinn (soweit vorhanden) geschadet hatte. Bevor ich meinen Gedanken erlaubte, auch noch die Blumen für das Begräbnis zusammen zu stellen oder was noch wichtiger war ? was sollte ich zur Beerdigung anziehen - riss ich mich zusammen und klopfe an Susis Tür.

Die darauf folgenden Geräusche konnten doch nur von einem Wahnsinnigen stammen, was auch das Chaos in der Wohnung erklären würde. Voller Panik wollte ich fliehen, doch leider stimmte der Ausspruch ?vor Entsetzen konnte ich mich nicht von der Stelle rühren.? Immer, wenn ich dies bislang in einem Roman gelesen hatte, dachte ich verächtlich: ?Na los, bring´ deinen Allerwertesten in Bewegung, solange du kannst?.

Langsam öffnete sich die Zimmertüre. Ein schwarzer behaarter Arm wurde durch den Türspalt geschoben. Meine Beine versagten ihren Dienst (oder hatten sie heute ihren freien Tag?) und ich sank ohnmächtig vor Susis Zimmer zusammen.

Sollten Sie ein Krimiliebhaber sein und jetzt einen hässlichen blutbesudelten Mann erwarten, muss ich Ihnen fairer weise leider ein anderes Buch empfehlen.

Als ich wieder zu mir kam, lag ich immer noch auf dem Boden und jemand kitzelte mich im Nacken. ?Hallo Nina altes Haus, a u f -w a c h e n !?

Wenn mich meine lädierten Nerven nicht völlig täuschten, war das doch Susis Stimme. Hurra, sie lebte (ich hatte schon Sorge gehabt, weil ihr Mietanteil für diesen Monat noch ausstand)! Mühsam rappelte ich mich auf und sah mich einer freundlich grinsenden behaarten Gestalt gegenüber. Ich war fassungslos ?Oh Susi, diesmal ist mit deiner Enthaarungscreme aber völlig was daneben gegangen. Wenn du willst, verklage ich die Firma? (von Beruf bin ich nämlich Anwältin, daher meine Phantasie und angegriffenen Nerven).

?Spinner? hörte ich da sagen auf Susis unnachahmlich herzliche Weise. Abrupt drehte ich mich um und sah sie fassungslos an. Stammelnd fragte ich ?wer ist das denn, wenn du du bist??. Sie lachte erleichtert. ?Oh Nina, wenn du deine Mandanten auch so wortgewandt vertrittst, weiß ich endlich, warum du meinen Mietanteil ständig erhöhen willst.?

Mühsam erhob ich mich und schaute mir den Affen - denn um diese Gattung handelte es sich wohl - etwas genauer an. ?Tut mir Leid, dass du Monkey auf diese Art kennen lernen musstest. Aber vielleicht fangt ihr noch einmal an. Also Nina, dies ist Monkey. Monkey das ist Nina.? Noch im letzten Moment verkniff ich mir ein ?Hocherfreut?, was den Affen aber nicht davon abhielt, meine Hand bzw. den ganzen Arm zu nehmen und heftig daran zu schütteln. Seine Freude schien außerordentlich groß zu sein. Vielleicht erkannte er in mir eine entfernte Verwandte oder es war ganz einfach das schlechte Gewissen darüber, was er aus meiner Wohnung gemacht hatte. ?Wo um alles in der Welt hast du den Affen her?? fragte ich irritiert.

?Ruhig Nina. Ich habe dir doch von meinem Freund Leon erzählt. Er ist aktiver Tierschützer und hat Monkey aus einem Labor entführt.? ?Entführt? Bis du wahnsinnig? Das ist eine Straftat. Ich kann als Mitwisser verurteilt werden und bin meine Lizenz los. Jetzt bist du eindeutig zu weit gegangen!!? Fassungslos schnappte ich nach Luft.

?Was sollte ich denn machen? Bei Leon wird die Polizei zuerst suchen und ein anderes Versteck wussten wir nicht.? ?Na, da hättet ihr vielleicht früher drüber nachdenken sollen. Was meinst du, wie lange die Polizei braucht um herauszufinden, wie Leons Freundin heißt und vor allen Dingen, wo sie wohnt. Die sind doch auch nicht blöde.?

?Wir ja auch nicht?, verteidigte sich Susi. ?Genau aus diesem Grund bin ich ja auch offiziell Ende letzter Woche zu Leon gezogen.? Verlegen öffnete sie ihre Zimmertür und anstelle des gewohnten Chaos erblickte ich gähnende Leere, d. h., bis auf einen großen Käfig. ?An dich wird niemand denken. Ich habe allen erzählt, dass wir uns gestritten haben und ich dich für eine eingebildete dumme Anwältin halte, die nur das High Society Leben im Sinn hat. Folglich kommt niemand auf die Idee, dass du Monkey hier verstecken könntest?.

?Was ich auch nicht tun werde? giftete ich zurück. ?Was glaubst du wohl, wie lange das gut gehen würde? Wir haben schließlich Nachbarn (die ja von Natur aus ?selten? neugierig sind). Wie soll ich den Lärm und Gestank erklären?? Susis Blick wurde schuldbewusst und immer unsicherer. ?Daran haben wir nicht gedacht? piepste sie schließlich verlegen. ?Geht es wenigstens für 3 Tage? In dieser Zeit haben wir sicher eine Lösung.? ?Neiiiiiiiin!!!!?

Nach ungefähr einer halben Stunde, mehreren geknallten Türen, etlichen Litern Tränen und einem Kilo schlechten Gewissen erklärte ich mich unverständlicher weise bereit, Monkey bis zum nächsten Abend zu behalten. In der Kanzlei würde ich mich krank melden, auch wenn ich mich dann bei einem wichtigen Termin vor Gericht von einem Kollegen vertreten lassen müsste (1 ½ Kilo schlechtes Gewissen). Nach ca. 1000 Küssen, 1545 Danksagungen und 1723 Versprechungen, den Schaden zu ersetzen und die Miete noch für den vollen Monat zu zahlen, verschwand Susi aus der Wohnung, aber hoffentlich nicht aus meinem Leben. Was sollte ich sonst mit dem Affen anstellen?

Erschöpft setzte ich mich. ?Möchtest du auch einen Drink??. Mit großen Augen schaute Monkey mich an. ?Tut mir leid, Bananenlikör habe ich gerade nicht.? Hoffentlich hatte Susi mir ein Handbuch ?ein Affe als Haustier? zurück gelassen. Natürlich nicht, nicht mal eine einzige Banane. Dies bedeutete, dass ich noch zum Laden musste und Monkey alleine lassen.

Nach unendlich viel Geduld (wovon ich normalerweise ca. 100 g habe) schaffte ich es, den Affen in den Käfig zu bugsieren. ?Sei leise? zischte ich ihm noch zu. ?Ansonsten wirst du morgen vielleicht mit einer Rakete auf den Mond geschickt?. Hoffentlich sah er dies nicht als eine gute Alternative zu meiner Gesellschaft an. ?Schicksal nimm deinen Lauf? dachte ich und ging zum Laden.

?Hallo Frau Rechtsanwältin? schleimte die Aushilfskraft an der Kasse. War die nette Frau Grimm immer noch krank? So ein Pech. ?Machen Sie eine Bananendiät oder zahlen die Mandaten Ihre Gebühren nicht? Verklagen Sie sie doch, hi hi hi?. Was für eine dumme Kuh. Bestimmt hatte sie ein Jurastudium oder ähnliches wegen Dummheit abbrechen müssen und missgönnte mir den Erfolg. Wortlos schob ich ihr ein paar Euros hin und ebenso wortlos steckte ich mein Wechselgeld ein. Auch auf das leise ?eingebildete Kuh? blieb ich stumm. Schließlich war dies ja augenblicklich mein neues Image dank Susi.

Aus meiner Wohnung war kein Laut zu hören. Ich wusste nicht, ob ich dies als gutes oder schlechtes Zeichen werten sollte. Vorsichtig betrat ich mein Zuhause, was jedoch nicht schlimmer als vorher aussah. In Susis Zimmer war es - schon fast beängstigend - still. Monkey lag jedoch in seinem Käfig und schlummerte friedlich vor sich hin. Nicht mal schnarchen tat er. Die Aufregung war sicher auch für ihn zuviel gewesen. ?Schlaf gut mein Kleiner? flüsterte ich liebevoll und merkte erschrocken, dass sich schon Muttergefühle in mir regten. ?Morgen Abend ist er weg? schwor ich mir.
Ich erzählte meinen Kollegen telefonisch etwas von einem Brechdurchfall und sie flehten inständig, dass ich zu Hause bliebe, um ja keinen anzustecken. Gerne würden sie meine Arbeit mit übernehmen.

So konnte ich den kommenden Tag ruhig mit Monkey vor dem Fernseher verbringen, wobei wir abwechselnd Bananen und Erdnüsse aßen. Es zeigte sich, dass er ein absoluter Zeichentrickfan war. Leider schien er etwas schwerhörig zu sein, so dass der Fernseher entsprechend laut lief. Natürlich dauerte es nicht lange, bis die erste Nachbarin schellte. Bevor sie mir die Feuerwehr auf den Hals hetzte, öffnete ich die Tür nach dreimaligem Klingeln widerstrebend einen Spalt breit.

?Hallo meine Liebe, ich störe hoffentlich nicht.?. Das ?doch? herunter würgend, um freundlich ?aber nicht doch? zu antworten, betrachtete ich Frau Wimmer widerwillig. ?Gestern war schon so ein Krach in der Wohnung und wie es hier a u s s i e h t.? So weit wie es ihr möglich war, streckte sie ihren faltigen Hals in meinen Flur. ?Hatten Sie Streit mit Fräulein Susanne?? ?Nein, äh, das heißt ja, sie ist ausgezogen.? ?Ach nein, wie schade,? heuchelte Frau Wimmer ihr Mitgefühl. Sie hatte Susi nie leiden können. ?Haben Sie schon eine neue Mitbewohnerin? Eine jüngere vielleicht? Ich meinte, Kinderfernsehen zu hören.?

Eigentlich sollte ich ihr die Türe vor der Nase zuknallen, aber leider war sie auch eine gute (sprich zänkische aber zahlungskräftige) Mandantin von mir. Leider ebenso ihre Freundinnen vom Romméclub. Auch auf die Gefahr hin, dass Sie jetzt jedwede Achtung vor mir verlieren, konnte ich es mir nicht leisten, Frau Wimmer zu brüskieren. ?Ich passe heute für eine Freundin auf deren Sohn auf? erklärte ich ihr. In dem Moment gab es ein fürchterliches Krachen und Gebrüll. Erschrocken wich Frau Wimmer zurück. Ihr gesamter Körper war ein Fragezeichen. Vertrauensvoll beugte ich mich zu ihrem Ohr und flüsterte ?er leidet an einer seltenen Krankheit, sobald Werbung im Programm kommt und er dieses Produkt nicht mag, hat er plötzlich aggressive Aussetzer. Ich schaue besser nach ihm.? Schnell zog ich mich zurück und hörte Frau Wimmer noch murmeln ?ich sage es ja immer, bei dem vielen Fernsehen der Jugend wird es ein schlimmes Ende nehmen. Bei uns hätte es das ...." Den Rest können Sie sich ja denken.

Monkey war es wohl langweilig geworden und er hatte die Erdnussschüssel an die Wand geworfen. Beruhigend redete ich auf ihn ein und schaute auf die Uhr. Susi war zwar alles andere als ordentlich, aber in punkto Zuverlässigkeit konnte ihr bisher kaum jemand etwas vormachen.

Inzwischen war es dunkel. Glücklicherweise war Monkey intelligent genug, die Toilette zu benutzen. Es zog ihn aber jetzt nach draußen, wo er seinem Bewegungsdrang nachkommen wollte. Verstehen konnte ich ihn ja. Er hatte sich erstaunlich gut den ganzen Tag über benommen. Ich überlegte hin und her. Mir fiel dann Chrissi ein. Er war ein ehemaliger Mitbewohner und hatte bei seinem Auszug nach einem Lottogewinn seine alten Klamotten hier gelassen. Schnell fand ich einen Mantel, Hut und ein paar Jeans. Monkey war ganz versessen darauf, die Sachen anzuziehen. Inzwischen fragte ich mich, aus welcher Art von Labor er wohl entführt wurde. War er vielleicht vorher ein Mensch?

Arm in Arm verließen wir vorsichtig das Haus. Leider nicht vorsichtig genug. Natürlich mussten wir Frau Wimmer begegnen. Nur gut, dass der Hausmeister die Außenlampe noch nicht repariert hatte. ?Ist er das?? flüsterte sie und ich nickte, während ich mit dem Finger auf dem Mund um Ruhe bat. Sie nickte, entfernte sich und murmelte nur noch ?ich hätte nicht gedacht, dass es sich soo schlimm auswirkt.? Schnell erreichten wir den menschenleeren Spielplatz und Monkey tobte sich so richtig aus.

Als wir wieder zu Hause eintrafen, war Susi inzwischen gekommen. ?Dieser Schuft?, heulte sie. Alles war bloß ein Schwindel um mir zu imponieren und mich ins Bett zu kriegen. Der Affe gehört einem Freund, der Tiere für das Fernsehen dressiert und er hat ihn für diesen gemeinen Zweck ausgeliehen.?

Es schellte und Leon stand verlegen vor der Tür. ?Kann ich bitte den Affen wieder haben?? ?Na klar du Oberaffe? feuerte ich ihm entgegen. ?Komm Monkey , du Armer. Lass` dir bloß nicht alles von diesem Typen gefallen, sonst kommst du zurück. Du weißt ja jetzt, wo wir wohnen.? Monkey schaute mich lieb an, als wenn er alles verstehen würde und fuhr mir mit seiner Pfote sanft übers Gesicht. Ich musste richtig schlucken. ?Mach`s gut Monkey und du Blödmann lass` dich hier nie wieder sehen. Eigentlich bist du hier der Affe.? Schon steckte ich ihm eine (natürlich ungeöffnete) Banane in seinen verdutzten Mund und Monkey eine in seine Pfote. Dann machte ich schnell die Tür zu und kümmerte mich erst mal um meine völlig aufgelöste Mitbewohnerin.
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