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Markus Ramseier: Vogelheu

Verfasst: Di 17. Dez 2013, 14:52
von bienwald
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Der Autor:
Markus Ramseier, geboren 1955 in Liestal (Schweiz), lebt heute als Autor, Flurnamenforscher und freier Lektor in Pratteln. Zuvor Tätigkeiten als Lehrer, Journalist und Verlagslektor. Für sein literarisches Werk erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, etwa den Buchpreis des Kantons Bern (1995) und den Bettina-von-Arnim-Preis (2001). Bisher erschienen u.a. Wie küsst man einen Engel? Roman (2002) und Licht. Geschichten (2009).

"Beschreibung der Redaktion:
Jahrelang war der Rebberg neben dem elterlichen Wellness-Hotel das private Paradies von Flo. Hier, an der Seite von Großvater Schneck, dem geerdeten Weinbauern, Erfinder, Fabulierer, Charmeur, in der geborgenen Welt ihrer Kindheit, fühlt sich das Leben für das junge Mädchen richtig an - Wellness pur. Doch auch der Großvater kann die Zeit nicht anhalten: Als ein Brand sein Haus am Fuß des Rebbergs zerstört, ahnt Flo erstmals, was Abschiednehmen heißt - und dass für sie nun der Moment gekommen ist, in ihr eigenes Leben hinauszutreten. Beeindruckend gelassen, mit liebevollem Blick für die vielen zauberhaften Details rund um uns und mit feiner Ironie erzählt Markus Ramseier Flos Geschichte: eine Geschichte von der Sehnsucht nach der vertrauten Welt der Kindheit und von der Suche nach dem eigenen Weg durch das Leben."

Von mir zusammengefasster Inhalt:
In Kapitel 1 sind wir gleich mitten in der Geschichte. Es brennt!!! - Das sogenannte ‚Badehaus' in der Nähe des Hotels, das einst Großvater Schneck gehört hatte und das er seinem Sohn überschrieben hat, brennt.
Am Abend vorher war der 75. Geburtstag von Großvater Schneck gefeiert worden, im Badehaus. Schneck kommt ins Krankenhaus. Und jetzt kommt im Rückblick alles, was Flo, das ist das Mädchen, die Hauptprotagonistin, mit Schneck, ihrem Großvater, so erlebt hat. Und in der Gegenwart noch erlebt.
Zur Person mal von Flo: Es ist ein sehr aufgewecktes, rotzfreches kleines Ding, das, ich denke unter den Eindrücken ihrer Erlebnisse mit Schneck gebildeten Ansichten und auch Verhaltensweisen, erzählt.

Allem voran mal: Sie erzählt das sehr unkonventionell, flapsig teilweise. Aber es ist immer ein tiefer Sinn in allem was sie so denkt, sagt, oder auch nicht sagt. Die Geschichte erzählt dann bis zum Tod von Großvater Schneck die Geschehnisse nicht nur um Flo, sondern auch um die ‚Frauen' von Schneck, ihren Freundschaften usw.
Am Ende klärt sich auch mehr oder weniger auf, wie es zu dem Brand gekommen war.
Ganz besonders empfinde ich die Beschreibungen und Darstellung der Natur. Sei es von Großvater Schneck, sei es von anderen beteiligten Forschern, mit denen Schneck Kontakt hat. Da ist z.B. eine Frau, (Renée) die mit ihrem Mann (Franz) im Hotel ist, und zwischen ihr und Schneck gibt es eine Liebesgeschichte.
Aber Schneck hatte und hat schon immer viele Liebesgeschichten. Er und seine Frau, die ja auch auf dem Gelände lebt, kommen damit sehr gut zurecht, sie achten sich gegenseitig, sie ist die Mutter seines Sohnes und der ja wiederum der Vater von Flo.
Flo ist auch als Sportlerin sehr aktiv, da ist sehr viel zu lesen über Wettbewerbe usw. - Und auch wie es mit ihrer Schule ist, wie sie die Hürden nimmt. Eines Tages zieht sie ja auch aus und zieht ins Badehaus ein. Großvater Schneck ist ja nicht da, er ist im Krankenhaus. Aber hier fühlt sie sich einfach wohler und sie hat das Gefühl hier aufpassen zu müssen.
Gegensätzlicher als Flo und ihr Vater können keine Menschen sein. - Und wiederum der Großvater, weitaus fortschrittlicher und moderner in seinen Ansichten als sein Sohn. - Und das ist die Essenz, warum die beiden, Großvater Schneck und Flo einander so zugetan sind.
Lediglich ein Vorkommnis hat Flo fast bis zum Tod von Schneck belastet, das war, als sie ungewollte Zeugin eines sexuellen Erlebnisses mit einer seiner Geliebten wurde. Und es war immer ihr Ziel, dieses letzte, worüber sie mit Schneck nie gesprochen hatte, abzuklären und diese Sache abzuschließen. Und darüber diese Unterhaltung zwischen beiden, ganz am Ende, möchte ich mal zitieren:


"…..Ich wollte am Fest endlich mit dir reden, aber in der Küche war ich völlig verkrampft. - - "Und ich habe in den letzten Tagen immer nur auf dich gewartet. Und wenn du dann kamst, verpasste ich den Moment. Im Grund gibt's es nichts Natürlicheres, und doch überfordert es einen rasch." - - - "Dass ich alles mit anhören musste war wie ein Sturz von einem Fels, dein unterdrücktes Lachen, Renées Seufzer, mit geschlossenen Lippen durch die Nase ausgestoßen - und ich daneben, wie eingewickelt in die Rauchfäden vom Herd. Erstmals in meinem Leben kam ich mir ganz und gar verlassen vor………" Dann ein Stückchen weiter: "Ja, Flo, darüber haben wir nie geredet, wir, die immer über alles redeten. Eine Erklärung habe ich nicht. Es geschah einfach, kein herumstudieren, keine Politik. Der Moment, in dem du dich verlierst in Rätseln und Sprachlosigkeit. Das war kein ärmliches Glück. Aber als du aufstandest wusste ich, das ist der Riss…….Ich war ganz sicher dass du schliefst. - Ein Wilder, ein Frauenverschleißer bin ich nicht. Ich weiß um den Altersunterschied und um die Gefahr der Lächerlichkeit. Aber man muss sich auch trauen dürfen, oder? Renée ist auf eine Art treu, die Franz und mich einschließt. Und Franz ist vielleicht sogar froh, wenn ich ihm einen Teil der Liebeslast von den Schultern nehme. Unsere Beziehung ist einfach. Keine Ausreden, kein erfundenes Drumherum. Sie schläft weiter mit Franz, natürlich quält mich das." - - - - - "Du liebst die Sexualität, hast sie immer schön gefunden." - - -
"Mit dreizehn Jahren hatte ich meinen ersten Samenerguss, entstanden aus einer ähnlichen Erregung, wie wenn du eine Schnecke entzwei schneidest, oder Pilze riechst oder feuchtes Laub." - - ------ein ganzes Stück weiter: "Und wo sitzt das Glück? - - "Vielleicht dort wo die negativen Gedanken abgewehrt werden." - - - "Und der Verstand? - - - "Dort wo man sich erinnert, was in der Vergangenheit passiert ist, und daraus lernt?" - - - "Kannst du noch mit den Ohren wackeln, Großvater? - - "So?" ----------
Eine sehr schöne Stelle ist dann, als sie mit Großvater in der Hütte (Paradies) ist und sie kochen. Hier ist dann ein komplettes Rezept beschrieben, wie sie aus Brotwürfeln, Butter, Eiern, und Greyerzer Käse und Gewürzen ein Gericht zubereiten. Und hier kommt jetzt die Stelle, die dann zum Titel für dieses Buch wurde. "…..die Stücke dürfen nicht aneinanderkleben, damit es wirklich Heu gibt."
Und dann: "Weißt du noch?" frage ich, "wenn uns etwas ein Rätsel war, wenn wir eine Antwort nicht fanden, sagten wir einfach, wir schauen nach im Schrank."…….. - - "Ja Flo, so einfach war das."- - - -

Eine weitere Nebengeschichte ist dann sehr humorvoll, ja die höchst ironische Beurteilung dieser ganzen Gäste in diesem ‚Wellness-Hotel' Hier werden diese ganzen - in den Augen von Schneck wie auch von Flo - unsinnigen Beschäftigungen in diesem Wellness-Bereich kritisch und vor allem belustigend registriert und auch kommentiert.
Und eine andere Nebengeschichte ist, wie Flo einen jungen Mann kennenlernt, und der sie am Ende schmählich enttäuscht. Nicht verschmähte Liebe, nein nein, sondern er steckte dahinter, dass das Gelände wo sich der Weinberg und das Paradies befinden, nach dem Tod von Schneck ein weitläufiges Freizeitgelände ausgebaut werden soll. Als Flo das erfährt, ist sie natürlich nicht nur erschrocken, tiefst enttäuscht, sondern entrüstet. Und genau das will sie verhindern. Es würde ja bedeuten, dass, entgegen des Naturschutzes und allem was noch dort an Ursprünglichem zu finden ist, vernichtet wird!!!
Und am Ende: "Es wird ein froher Leichenschmaus in der Hütte, Vogelheu, was sonst, von Paradieswein und *** abgerundet........" (***, ein von Schneck erfundener Ausdruck seiner Pflaumen, weil sie in der Mitte geteilt sind. Und dieser *** ist uralt.)


Abschließende Bemerkung von mir:
Insgesamt ein sehr erfrischendes Leseerlebnis; nicht nur das, sondern es führt uns an so unkonventionelle Lebensarten und Überzeugungen heran, die grade im Zusammenhang zwischen Großvater Schneck und Enkelin Flo so bedeutungsvoll sind, und - obwohl auch teilweise mit sarkastischem Humor - doch nachvollziehbar und nachahmenswert, aber zumindest überdenkenswert sind.

Was noch ein wichtiges Thema ist, ist der Schutz der Natur, die Beschreibungen über die Herstellung des Weins, des Rebbergs, und nicht zu vergessen dieser vielen Schneckenarten, die Schneck alle gesammelt hat. Und in von ihm erfundenen Gefäßen konserviert hat. - In normalen Gläsern, in reinem Alkohol, und abgedichtet; so sollen sie mindestens 100 Jahre erhalten bleiben. Was leider dann nicht dazu kam, weil alle Gläser bei diesem Brand explodiert sind und alles vernichtet wurde.

Am ganzen Buch ist zu erkennen, wie intensiv er die Natur wahrnimmt, das zieht sich durch die komplette Geschichte.
So beschreibt er akribisch diese Sache mit den Schnecken, den tausenden von Sorten die es gab, und den vielen, die ausgestorben sind, aufgrund der Verhaltensweisen von Menschen. Und er legt ganz klar da, für was diese ganzen Schneckarten gut sind.

Die Beschreibung des Weins z.B. - auch sie hochinteressant. Schneck hat diese alten Sorten, und es ist sehr gut erklärt warum gerade diese Rebstöcke so wichtig sind erhalten zu werden. Die ‚modernen' Weine, die seine guten alten verdrängt haben kommen dabei nicht gut weg. Vom Geschmack her - mag ich mal dahingestellt sein lassen, da könnte man drüber streiten, aber was die Ökologie angeht ist es sehr nachvollziehbar.

Ich denke Ramseier sieht sich selbst in dieser Figur von Schneck. Und in Flo hat er - eine Generation überspringend - ein junges Mädchen mit all seinen Problemen geschaffen, das genau diesen Großvater Schneck braucht.

Das Lesen dieses sehr bemerkenswerten Buchs dieses Autors hat sehr viel Freude bereitet, war wunderschön zu lesen!!! Es wird auch für Wenigleser hoch interessant sein! Die verwendete Sprache ist zwar anspruchsvoll, aber dennoch leicht zu lesen; manchmal auch mit landestypischem Dialekt vermischt.

Der Autor versteht es meisterhaft, das zwischen den Zeilen geschriebene zu übermitteln. Teilweise, eigentlich häufig, verwendet er eine sehr poetische Sprache. -






Buchdaten:
ISBN-10:3-7099-7013-X
EAN: 9783709970133 Erscheinungstermin: 11.10.2013
Verlag: Haymon Verlag Einband: gebunden
Sprache: Deutsch
Seiten: 336