Susann Sitzler: Freundinnen. Was Frauen einander bedeuten

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Vandam
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Susann Sitzler: Freundinnen. Was Frauen einander bedeuten

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Susann Sitzler: Freundinnen. Was Frauen einander bedeuten, Stuttgart 2017, Klett-Cotta, ISBN 978-3-608-98067-7, Hardcover mit Schutzumschlag, 251 Seiten, Format: 13,4 x 2,7 x 21,1 cm, Buch: EUR 20,00, Kindle Edition: EUR 15,99.

„Am Beginn jeder Freundschaft steht der Zufall eines Zusammentreffens, eines passenden Moments. Dann kommen das gegenseitige Interesse und die Frage, in welcher Facette des anderen wir uns spiegeln können. Davon hängt es ab, ob wir uns auf einander einlassen. Ob das Menschen, sind, die uns auf Dauer schaden oder nutzen, ist wissenschaftlich nicht zu erforschen. (...) Denn es liegt vor allem an uns selbst, ob uns jemand als Freundin guttut oder uns schwächt.“ (Seite 150)

Schon Susann Sitzlers Buch GESCHWISTER. DIE LÄNGSTE BEZIEHUNG DES LEBENS habe ich interessiert und fasziniert gelesen. Basierend auf persönlichen Erfahrungen, die sie mit Erkenntnissen aus der Forschung kombinierte, hatte sie da die Beziehung zwischen Brüdern und Schwestern aus den verschiedensten Blickwinkeln beleuchtet und dem Leser so manches Aha-Erlebnis beschert. Im vorliegenden Buch nimmt sie sich nun nach diesem bewährten Muster die Frauenfreundschaften vor.

Über dieses Thema hatte ich noch nie viel nachgedacht. Meine Freundinnen kenne ich größtenteils mein Leben lang, weil wir Nachbarskinder waren und/oder Schulkameradinnen. Man mag sich, hat viel miteinander erlebt, hat Spaß zusammen, manchmal auch Meinungsverschiedenheiten, und wenn eine Hilfe braucht, weiß sie genau, zu wem sie mit welchem Anliegen kommen kann und dass es dann nicht vieler Worte bedarf. Ich frage mich höchstens manchmal, ob die Bilanz stimmt – ob ich so viel an Unterstützung zurückgeben kann, wie ich bekomme, oder ob sich jemand von mir ausgenutzt fühlen könnte.

Erfahrungen plus wissenschaftliche Erkenntnisse
Wenn eine Autorin 250 Buchseiten zu einem Thema schreiben kann, zu dem einem selbst nur ein paar dürre Zeilen einfallen, ist davon auszugehen, dass man beim Lesen eine Menge lernen kann.

Das Buch ist in Teile mit jeweils 12 kurzen, sehr persönlich gefärbten Kapiteln gegliedert, wobei Kapitelüberschriften wie „Glas“, „Hausrat“, „Latex“, „Bälle“ oder „Pfurri“ erst Sinn ergeben, nachdem man den Text gelesen hat. Dann aber fällt der Groschen.

In einem sind wir uns wohl alle einig: „Wer keine Freundinnen hat, steht weit unten in der Hierarchie und ist angreifbar für alle. Das weiß jede Frau, die je als Mädchen alleine auf dem Schulhof stand.“ (Seite 26). Was genau Freundschaft eigentlich ist, darüber streiten sich die Gelehrten noch. Die Definition aus dem Wissenschaftsmagazin SPEKTRUM aus dem Jahr 2013 ist schon mal ein guter Ansatz: „Freundschaft bedeutet ’eine freiwillige, persönliche Beziehung, die auf gegenseitiger Sympathie, Vertrauen und Unterstützung beruht, nicht aber auf Verwandtschaft oder einem s e x u e l l e n Verhältnis.’“ (Seite 24/25)

Anhand konkreter Fallbeispiele erfahren wir, nach welchen Kriterien frau sich ihre Freundinnen aussucht, worin sich Frauen- und Männerfreundschaften grundlegend unterscheiden und welche Risiken man eingeht, wenn man sich der anderen Person öffnet, offenbart und vertraut.

Freundschaftspflege kostet Zeit
Dass man in eine Freundschaft Zeit investieren muss, auch wenn man die eigentlich gar nicht hat, ist uns wohl allen bewusst. Eher introvertierte Leserinnen, die womöglich auch noch in einer Lebensphase stecken, in der sie vor lauter beruflichen und familiären Verpflichtungen weder aus noch ein wissen, werden sich angesichts der vielen von der Autorin beschriebenen freundschaftlichen Kontakte vielleicht ein bisschen defizitär fühlen. EigenbrötlerInnen (wie ich) werden aber auch kaum auf die Idee kommen, ein Buch über Freundschaften zu schreiben. Dazu muss man schon mit mehr Leuten Umgang pflegen als wir. Wenn wir mit unseren wenigen engen Freunden zufrieden sind, ist auch das vollkommen okay.

Macht und Konkurrenz können in einer Frauenfreundschaft eine Rolle spielen, während eine objektive Ähnlichkeit zwischen den Freundinnen keine zwingende Voraussetzung ist: „Um Freunde zu werden, müssen wir Fremde in unsere Nähe lassen und uns ihnen verbunden fühlen wollen.“ (Seite 59)

Nähe, Kummer und Schmerz
Wenn eine Freundschaft endet, kann das so viel Kummer und Schmerz bereiten wie das Ende einer Liebesbeziehung. Dabei muss es nicht notwendigerweise zum großen Krach gekommen sein. Manchmal lebt man sich auch einfach auseinander. Man kann auch nur eine gewisse Anzahl von Kontakten pflegen. Auf rund 1.500 Bekannte bringt’s ein Mensch im Schnitt im Laufe seines Lebens. Davon haben vielleicht 15 das Zeug zu guten Freunden und ungefähr 5 bilden den harten Kern der wirklich engen Freunde. Kommt eine neue Freundschaft dazu, rückt eine ältere Beziehung in den Hintergrund. So hart es klingt: Freundschaften werden nach Prioritäten geführt.

Stimmt es denn, dass man nur in jungen Jahren stabile Freundschaften schließen kann? Die Autorin kann das nicht bestätigen, gibt aber zu, dass dieser Prozess im Erwachsenenalter deutlich anstrengender ist als in der Kindheit.

Welche Geheimnisse teilen Freundinnen? Muss eine Freundschaft unbedingt „alltagstauglich“ sein, oder genügen auch ähnliche Werte bei grundverschiedenen Lebensumständen als Basis? Und was passiert, wenn wir Freundinnen haben, die uns nicht gut tun? Es gibt ja regelrecht toxische Persönlichkeiten, die man nicht gleich als solche erkennt.

Es gibt „Jagdgemeinschaften“ unter Frauen (was die Autorin darunter versteht, steht im Buch ;-), Freundinnen, von denen man eine Menge lernen kann, solche, deren eigener Glamour auf einen abstrahlt und andere, die eher Zweckbündnisse sind. Und es gibt den „Girl Crush“ – da ist die andere Frau so interessant und aufregend, dass man auch bei Heterofrauen schon von Verliebtheit sprechen kann.

Wenn die Freundschaft endet
Wie kompromiss- und leidensfähig sollen wir in einer Freundschaft sein, und wann ist es besser, einen Schlussstrich zu ziehen? Suchen beide den Kontakt oder rennt immer nur eine der anderen hinterdrein? Mit Fallbeispiel „Lea“ hätte ich mich garantiert nicht so lange herumgeplagt. Wenn man von einer Freundin andauernd in den Rechtfertigungs-, Erklärungs- und Verteidigungsmodus gedrängt wird, ist das nicht sehr erquicklich.

Als Kind hat man meist die eine beste Freundin, mit der man alles teilt. Im Erwachsenenleben umgibt man sich eher mit einem ganzen „Strauß“ von Freundinnen, die jeweils unterschiedliche Interessensgebiete abdecken. Mit der einen geht man zum Sport, mit der anderen ins Kino oder Theater, mit der dritten diskutiert man die Lage der Welt oder die familiären Angelegenheiten etc. Je vielfältiger die eigenen Interessen sind, desto schwieriger würde es für eine einzige Person, da überall kompatibel zu sein. Ob Männer und Frauen miteinander befreundet sein können, das ist wiederum ein anderes Kapitel.

Die vielen Gesichter der Frauenfreundschaft
Ein Buch wie ein Mosaik: eine Menge bunter Steinchen, die zusammen ein Bild ergeben. Es zeigt die vielen Gesichter der Frauenfreundschaft. Als Leserin erkennt man sich in vielen Punkten wieder. Einiges, was die Autorin anspricht, hat man instinktiv schon gefühlt. Jetzt hat man es schwarz auf weiß: Es ist wirklich so, es gibt wissenschaftliche Erkenntnisse, die den Sachverhalt erklären, man hat sich das nicht nur eingebildet. Und man versteht rückblickend, warum diese oder jene Freundschaftsbeziehung einfach nicht (mehr) funktioniert.

Die Autorin
Susann Sitzler wurde 1970 in Basel geboren und lebt als Journalistin und Buchautorin in Berlin; sie verfasste Reportagen, Porträts und Rundfunkfeatures etwa für »Die Zeit«, »Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung«, »Merian« und »Deutschlandradio Kultur«; zahlreiche Buchveröffentlichungen, zuletzt das viel gelesene Buch »Geschwister. Die längste Beziehung des Lebens«.
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