Alfred Bodenheimer: Ihr sollt den Fremden lieben. Rabbi Kleins vierter Fall

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Vandam
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Alfred Bodenheimer: Ihr sollt den Fremden lieben. Rabbi Kleins vierter Fall

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Alfred Bodenheimer: Ihr sollt den Fremden lieben. Rabbi Kleins vierter Fall, München 2017, Nagel & Kimche im Carl Hanser Verlag, ISBN 978-3-312-01033-2, Hardcover mit Schutzumschlag, 191 Seiten, Format: 13,5 x 2 x 21,1 cm, Buch: EUR 20,00 (D), EUR 20,60 (A), Kindle Edition: EUR 15,99.

„Ich verstehe dich nicht, Gabriel. Du hattest in dieser Geschichte nur den tragischen Status desjenigen, der zu spät kam, um noch helfen zu können. (…) Du hattest alle Sympathien auf deiner Seite, niemand wollte etwas von dir. Und dann lässt du dich von diesem unreifen Bengel vor den Karren spannen und kannst nachts nicht mehr schlafen.“ (Seite 163)

Warum hört der Rabbi eigentlich nie auf seine Frau? Gabriel KIein, Rabbiner der Zürcher Cultusgemeinde, kennt seine Rivka doch wahrlich lange genug um zu wissen, dass ihre Bedenken ernst zu nehmen sind. Doch immer wieder lässt er sich von irgendwelchen Leuten zu Aktionen überreden, die ihn nicht nur in Gewissensnöte bringen, sondern regelrecht in Gefahr.

Gerade sitzt er in einer Fernsehshow, quasselt sich um Kopf und Kragen und verliert auch noch haushoch. Wie peinlich! Der Gemeindevorsitzende Salomon hatte Kleins Teilnahme an der Sendung für eine gute Idee gehalten, Rivka nicht. Und dann muss Klein nach dieser Blamage auch noch mitten in der Nacht erneut zum Sender fahren. Er hat sein Smartphone dort vergessen, und ohne das Ding hat er keinen Überblick über seine Termine. Von dem nächtlichen Ausflug bekommt Rivka nichts mit. Sie hätte ihm sonst gesagt, was sie davon hält: nichts! Um diese Zeit ist in dem Sender doch keiner mehr!

Fast keiner. Als der Rabbi aufs Sendergelände kommt, sieht er gerade noch einen weißen PKW davonrasen – und der Moderator Kim Nufener liegt bewusstlos in seinem Blut. Klein versucht, den Mann wiederzubeleben. Den Notarzt rufen kann er nicht, sein Handy liegt ja irgendwo im Sender und da macht ihm keiner auf.

Irgendwer muss einen Notruf abgesetzt haben, denn plötzlich sind alle da: der Sanitätswagen und die Polizei. Die Kriminalkommisssarin Karin Bänziger und der Rabbi kennen einander nur zu gut. Er hat ihr schön öfter bei ihren Ermittlungen ins Handwerk gepfuscht. Zwar war seine Einmischung oft hilfreich, aber sie hat auch so manche Situation verschlimmert. Es ist eben nicht immer gut, wenn man allen Fragen mit wissenschaftlicher Gründlichkeit nachgeht.

Der Rabbi findet einen Toten
Für den Moderator kommt jede Hilfe zu spät. Ein Unfall kann das nicht gewesen sein, hier kommt kein Autofahrer zufällig vorbei, schon gar nicht um diese Uhrzeit. Jemand muss dem Opfer aufgelauert haben.

Dass der Rabbi sich nicht auf den Status als erfolgloser Ersthelfer beschränken wird, ahnt die Kommissarin, als Tim Nufeners Ex-Lebensgefährte, der h o m o s e x u e l l e Modedesigner Lejser Morgenroth unter Verdacht gerät. Er stammt aus einer strenggläubigen jüdischen Familie, wurde aber aufgrund seiner s e x u e l l e n Orientierung vor Jahren verstoßen.

Ob der Rabbi Herrn Morgenroth kenne, fragt die Kommissarin.
Ja, sagt er. Früher einmal.
Ob er noch Kontakt zu ihm habe, will sie wissen.
Nein, antwortet er – und stellt das auch nicht richtig, als Lejser nach Jahren des Stillschweigens wieder auf ihn zukommt und ihn anfleht, den wahren Mörder zu suchen. Diesbezüglich traut er dem Rabbi mehr zu als der Polizei.

Er willigt ein, und schon stecken sie wieder mittendrin im Schlammassel: Der Rabbi betätigt sich als Amateurdetektiv, Kommissarin Bänziger versucht, das zu verhindern und wenn alles schiefgeht, klaubt Rivka grummelnd die Scherben auf.

Wenn’s der Ex nicht war, wer dann?
Wenn Morgenroth den Moderator nicht angefahren hat, wer denn? War’s ein Kollege, der das Wort „Konkurrenzkampf“ ein bisschen zu brutal ausgelegt hat? Das vermutet jedenfalls Nufeners gewitzte Assistentin Nilüfer Demirtok. Oder wurde Nufener ermordet, weil er gerade dabei war, einen 20 Jahre alten Skandal an die Öffentlichkeit zu bringen? Davon gehen Lejser und Nufeners Schulfreund, der Unternehmer Dominic Hurni aus. Und wer war eigentlich Nufeners neuer Lover? Das scheint niemand zu wissen. War’s überhaupt ein Mann, oder war Nufener diesbezüglich flexibel? Vielleicht war seine Schwärmerei für Hurnis attraktive Ehefrau Livia doch nicht nur platonisch? Die ist leider derzeit in Afrika bei ihrer Familie und telefonisch nicht zu erreichen. Heißt es.

Freunde der Reihe wissen, dass das religiöse Thema, das den Rabbi gerade umtreibt, stets zur Lösung des Falles beiträgt, weil Klein von einem aufs andere schließt. Mit seinen Studierenden der jüdischen Ethik bespricht er derzeit die verstörende biblische Geschichte der Entführung von Dinah, der Tochter des Stammvater Jakobs, durch den Fürstensohn von Sichem. Bei der Diskussion darüber geht es hoch her und der Kenner der Buchreihe wird hellhörig …

Von der Bibel zum Geistesblitz
Wie der Rabbi schlussendlich der Lösung des Falles näher kommt – es steht schon noch eine Überraschung ins Haus! – ist nachvollziehbar, aber wie uns das präsentiert wird, ist ein bisschen gemein. Klein verfügt über ein paar wichtige Informationen, die uns vorenthalten werden. Da kann er uns natürlich leicht mit seinen Geistesblitzen beeindrucken! Dass manches, was er gelesen und gesehen hat, gar nicht näher ausgeführt worden ist, merken wir erst im Nachhinein. Das war in den vergangenen Bänden ein bisschen raffinierter gelöst.

In diesem Roman bekommt’s der Rabbi mit Vertretern der anderen großen monotheistischen Religionen zu tun: mit einem Imam und einem katholischen Priester. Beim Meinungsaustausch sind alle sehr vorsichtig. Nur keine politischen oder sonstwie kritischen Themen ansprechen! Auf diese Weise gibt es zwar keinen Streit, aber die Harmonie ist nur oberflächlicher Natur. Das bringt die junge Muslima Nülifer am Schluss gut auf den Punkt: „(…) Den Fremden zu lieben, wie Sie predigen, und ihn zu verstehen, das sind zwei verschiedene Paar Schuhe.“ (Seite 187)

Mit Verstand und exquisiten Bosheiten
Ich dachte immer, ein Krimi, bei dem ein (Amateur-)Ermittler allein durch Fragen, Zuhören und Nachdenken einen Fall löst – vor allem, wenn das auch noch ein Rabbi aus der Schweiz ist -, sei allenfalls für eine Minderheit interessant. Umso erfreuter war ich, als ich las, dass der vorliegende Band für den Glauser-Preis 2018 nominiert worden ist. Das heißt, dass auch andere die Qualität dieses Krimis zu schätzen wissen – und bestimmt auch die exquisiten Bosheiten aus dem Zitatenschatz von Rabbi Kleins verstorbenem Vater. Diesen bissigen alten Herrn hätte zu gerne mal auf den aufgeblasenen Gemeindevorstand Tobias Salomon losgelassen. Er hätte den hochnäsigen Dummschwätzer verbal zerlegt, ehe dieser es überhaupt kapiert hätte! Hach! Da hätte ich sogar Eintritt bezahlt! Schade, dass wir das nicht erleben werden. Ja, ich gebe zu: Meine Lieblings-Nebenfigur in dieser Krimireihe ist ein Toter.

Der Autor
Alfred Bodenheimer, geboren 1965 in Basel, erhielt eine traditionelle jüdische Ausbildung und betrieb Talmudstudien in Israel und den USA. In Basel studierte er Germanistik und Geschichte und promovierte 1993 mit einer Arbeit über die Emigration von Else Lasker-Schüler nach Palästina. Nach Forschungs- und Lehrtätigkeiten in Israel und an der Universität Luzern und einer Habilitation an der Universität Genf kam er 2003 als Professor für Jüdische Literatur- und Religionsgeschichte an die Universität Basel zurück.
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