Günther Thömmes: Der Limonadenmann. Roman

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Vandam
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Günther Thömmes: Der Limonadenmann. Roman

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Günther Thömmes: Der Limonadenmann oder Die wundersame Geschichte eines Goldschmieds, der der Frau, die er liebte, das Leben retten wollte und dabei die Limonade erfand. Roman, Meßkirch 2018, Gmeiner Verlag, ISBN 978-3-8392-2296-6, Klappenbroschur, 247 Seiten, Format: 13,7 x 2,5 x 21,1 cm, Buch: EUR 15,00 (D), EUR 15,50 (A), Kindle Edition: EUR 11,99.

Aufgrund des Buchtitels könnte man eine mehr oder weniger kitschige Liebesgeschichte vor historischem Hintergrund erwarten – aber weit gefehlt! Die Sache mit der Frau und der Limonade kommt erst ziemlich am Schluss und ist auch nur eine Episode im ungewöhnlichen und ereignisreichen Leben des Jacob Schweppeus – des „Vaters“ der bekannten Schweppes-Getränke.

Das abenteuerliche Leben des Schweppes-Gründers
Wie Scheherezade in den Märchen von 1001 Nacht erzählt Schweppes-Erbin Gräfin Albertine von Wallenschnudt an mehreren Abenden in Folge dem britischen König Wilhelm IV und dessen Teenager-Nichte, Prinzessin Victoria, die Lebensgeschichte des leicht exzentrischen Firmengründers. Um ihr königliches Publikum neugierig zu machen, deutet sie an, ein Getränk aus dem Hause Schweppes habe einmal ihrer Mutter das Leben gerettet.

Die Gräfin erzählt auf Geheiß der Prinzessin. Und die hat einen Plan. Sie ist ein Fan des Schweppes-Sodawassers und möchte es am liebsten immer und jederzeit am Hof verfügbar haben. „Nun habe ich es Euch für ein Royal Warrant vorgeschlagen“ , sagt sie zu ihrem Onkel. „Ihr solltet seinen Herstellern die königliche Empfehlung erteilen. Das höchste Prädikat unseres Königreichs.“ (Seite 11)

Das Getränk schmeckt auch dem König, es tut ihm gut, und die Gräfin ist eine begnadete Erzählerin. Sie ist ja auch die Tochter einer Schriftstellerin und sie spart nicht mit pikanten Details. Also ist er, genau wie seine Nichte, ganz Ohr.

Bauernbub, Kesselflicker, Goldschmied, Juwelier
Alles beginnt 1740 in Witzenhausen, einem winzigen Marktflecken an der nordöstlichen Grenze des Fürstentums Hessen-Kassel. Jacob Schweppeus, der Sohn eines Einheimischen und einer Bauerntochter hugenottischer Abstammung, erweist sich als zu schwächlich für den Beruf des Landwirts. Weil er ziemlich schlau und geschickt ist und an allem Technischen Interesse hat, landet er – auf einem abenteuerlichen Umweg über die Ausbildung zum Kesselflicker – als Lehrling bei Goldschmiedemeister Johann Ludwig Wiskemann in Kassel. Dort begegnet Jacob zum ersten Mal der kessen jungen Adeligen, die seine lebenslange große Liebe werden soll: Isabella Freiin von Poppy. Sie sind beide 18, als sie sich kennenlernen und sehr voneinander angetan. „Bella“ kommt als Kundin in den Laden, und obwohl er keine Ahnung von Edelsteinen hat, verspricht er ihr, ihren Entwurf für eine Brosche zu realisieren.

Jacobs große Liebe ist unerreichbar
Bella von Poppy ist aufgrund des Standesunterschieds für jungen Goldschmied unerreichbar. Mehr als ein bisschen heimliches Vergnügen ist nicht drin. Aber etwas Gutes hat die Begegnung: Weil er sich bei der Umsetzung der Brosche selbst übertrifft, lässt sein Meister ihn auch das Handwerk des Juweliers erlernen.

Jacob verliert Bella für Jahre aus den Augen. Sie wird mehrfach heiraten, und jeder neue Mann wird noch ein größerer Mistkerl sein als der vorherige. Jacob selbst heiratet schließlich Maria, die unscheinbare Magd seines Lehrherrn.

Heute würde man Jacob Schweppeus vermutlich als hochbegabt bezeichnen. Zumindest seine Eltern würden das tun. Was immer ihn interessiert, lernt er in Windeseile und bringt’s darin zur Perfektion. Als er dem britischen Uhrmacher Ahasuerus Blindganger begegnet, eignet er sich dieses Handwerk auch noch an. Doch wann es geboten ist, den Mund zu halten, das lernt er nie. Und das bringt ihn oft genug in Schwierigkeiten.

1766 – er ist frisch verwitwet – verlässt er Kassel und fängt in Genf von vorne an. Bei der Gelegenheit ändert er seinen Nachnamen in „Schweppe“. Den Namen „Schweppeus“ hat sowieso kaum einer richtig ausgesprochen, und den Merkspruch „Schweppeus wie Deus, nicht Schweppeus wie Zeus“ will er nicht in seine neue Heimat mitnehmen.

Das klingt jetzt, als sei er zum Zeitpunkt seiner Auswanderung bereits ein Herr mittleren Alters gewesen, aber das liegt nur daran, dass er schon so viel erlebt hat. In Wahrheit ist er damals gerade sechsundzwanzig.

Neues Land, neues Forschungsgebiet
In Genf arbeitet als Bijoutiermeister und widmet sich in seiner Freizeit seiner wahren Leidenschaft: der mechanischen Bastelei. Er liest alles über Naturwissenschaften, war ihm die Finger kommt. Besonders fasziniert ihn die Chemie, die gerade dabei ist „sich von der mittelalterlichen Alchemie in einen seriösen Forschungszweig zu verwandeln.“ (Seite 95) Vor allem interessiert ihn die Arbeit des Engländers Jason Priestley. Dieser experimentiert mit Flüssigkeiten und Gasen und will auf diesem Weg künstliches Heilwasser herstellen. Jacob beginnt, selbst in dieser Richtung zu forschen.

Warum interessiert sich ein Experte für Schmuck und Uhren auf einmal für heilendes Sprudelwasser? Nun, Jacob interessiert sich doch für alles! ;-) Konkret verspricht er sich davon die Linderung der Beschwerden, die ihn plagen, und er möchte auch den Menschen Kuren ermöglichen, die sich keine teuren Reisen leisten können.

Produktionstechnisch und wirtschaftlich gibt’s Höhen und Tiefen: Firmengründung, Partnerschaften, „Industriespionage“, Streitigkeiten, Händel mit der Konkurrenz, neue Partnerschaften … Treu zur Seite steht ihm stets die junge Colette von Bieleburg, die aus guten Gründen von London nach Genf geflohen ist. Missgünstige Klatschmäuler halten die temperamentvolle junge Frau für Jacobs Geliebte. Wir LeserInnen wissen es besser.

Saftiger Skandal in der Soda-Fabrik
Colettes größter Fehler ist, Guillaume Belcombeux in die Firma aufgenommen zu haben. Das gibt einen wirklich saftigen Skandal! Doch auch dieser Rückschlag kann den Erfolg von Schweppes Sodawasser nicht aufhalten.

Wenn man an die Rahmenhandlung denkt, wundert man sich: Das darf die Gräfin alles ganz unverblümt vor der jungen Prinzessin erzählen? Na ja, vielleicht war man bei Hofe damals gar nicht so verklemmt, wie man sich das heute vorstellt.

Nicht nur aus beruflichen Gründen entschließt sich Jacob, eine Dependance in London zu eröffnen. Um die Firma in Genf kümmern sich solange seine Geschäftspartner. Doch der Neustart in London erweist sich als schwieriger als gedacht. Und bald bescheren ihm die Umstände ein neues Forschungsgebiet: Malaria-Prophylaxe! Schweppes-Trinker ahnen schon, zu welchem Produkt das führen wird …

Ein unterhaltsamer Roman, keine Biographie
Der Roman basiert recht lose auf dem Leben des Jacob Schweppe (1740 – 1821). Es ist keine Biographie. So genau weiß man Leser nicht, was sich nun wirklich ereignet hat und was der Autor aufgrund fehlender Quellen oder aus dramaturgischen Gründen erfunden hat. Wahrscheinlich stimmt immer gerade das Verrückteste. Wie dem auch sei: Es klingt alles plausibel, ist äußerst unterhaltsam erzählt, und weil man die Produkte, deren Entstehungsgeschichte wir hier kennenlernen, auch heute noch nutzt, dürfte die Lektüre sogar Auswirkungen auf den Alltag mancher LeserInnen haben. Auf meinen schon. Ich weiß zwar, dass die Schweppes-Getränke zuckerhaltige Softdrinks sind und nicht, wie Jacob glaubte, Medizin, aber ich liebe sie Das hat mich überhaupt erst auf die Idee gebracht, das Buch zu lesen. Jetzt werde ich sicher manchmal, wenn ich etwas davon trinke, an den klugen Kopf denken, dem wir diese Produkte verdanken.

Der Autor
Der gelernte Brauer, studierte Braumeister und Buchautor Günther Thömmes stammt aus der Bierstadt Bitburg in der Eifel. Bierbesessen und weitgereist in Sachen Brauereien, hat er mittlerweile mehrere Romane sowie diverse Kurzkrimis und einen Reiseführer veröffentlicht. Der Autor schreibt weiterhin für diverse Bierblogs und Fachmagazine. Günther Thömmes ist verheiratet und lebt mit Frau und Sohn in der Nähe von Wien.
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