Der Empfänger

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ann-marie
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Registriert: Mi 26. Feb 2020, 06:28

Der Empfänger

Beitrag von ann-marie »

Ein relativ unbekanntes Kapitel deutscher Nach(kriegs) – Geschichte
Zurück in Deutschland - und doch keine Heimat mehr

Ulla Lenze legt ihrem Roman über die beiden Brüder Josef und Carl Klein die Lebensgeschichte ihres Großonkels zu Grunde, was den besonderen Reiz dieses Romans ausmacht.
Josef und sein jüngerer Bruder Carl, beide geboren Anfang des 20. Jahrhunderts, planen eine gemeinsame Auswanderung nach Amerika. Carl, kurz vor der geplanten Abreise durch einen Unfall halbseitig erblindet, kann aus diesem Grund nicht in die Vereinigten Staaten einreisen und bleibt in Deutschland. Dort er- und durchlebt der die Zeit vor, während und nach dem zweiten Weltkrieg Josef hingegen verbringt diese Zeit in Amerika, gerät dort auf Grund seines großen Interesses und seiner liebsten Freizeitbeschäftigung, Amateurfunken, zunächst unwissend in den Dunstkreis der Nazis, die letztendlich seine Fähigkeiten für eigene Zwecke missbrauchen. Bestärkt von seiner amerikanischen Freundin Lauren, wagt Josef eines Tages den Schritt, sich dem FBI zu offenbaren. Allerdings bewahrt ihn dies nicht vor einer längeren Haftstrafe und der anschließenden Ausweisung nach Deutschland.
1949 in Deutschland angekommen, sucht er den Kontakt zu seinem Bruder und dessen Familie. Fühlt sich aber weder in Deutschland heimisch noch entsteht eine tiefere und gute familiäre Beziehung zu seinem Bruder. Dies führt letztendlich zu seiner erneuten Abreise aus Deutschland nach Südamerika, wo er gegen Ende des Romans in Costa Rica heimisch zu werden scheint.
Zu Beginn des Romans davon ausgehend, dass es sich um eine Art Spionagethriller handelt, erweist sich das Gelesene doch recht bald als ein vielschichtiges Werk, das viel von dem wiedergibt, was vor allem Josef bewegt. Aber auch ein ganz besonderer Blick auf die Zeit kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges. Josef, ein stiller aber sehr aufmerksamer Beobachter, registriert und durchschaut schnell, vielleicht auch bedingt durch seinen langen Aufenthalt in Amerika und den dortigen "way of Life" und die fehlenden Kenntnisse und Erfahrungen in Deutschland während des zweiten Weltkriegs, wie es sich um Ehe und das Miteinander der Familienmitglieder seines Bruders verhält. Nach Amerika kann Josef nicht zurückkehren und Deutschland erkennt er nicht wieder. Er fühlt sich zunehmend unwohl, sodass er eines Tages weiterzieht. All dies von der Autorin zum Teil nur angedeutet und nicht ausführlich beschrieben, lässt es dem Leser viel Raum zu eigenen Gedanken und Überlegungen.
Fasziniert von einem Teil deutscher Geschichte, das mir bisher weder bekannt noch bewusst war, wie anders könnte ich die Tätigkeit der Nazis in Amerika auch beschreiben, und da es sich um einen etwas anspruchsvolleren und doch gut zu lesenden Roman handelt, empfehle ihn sehr gerne weiter.
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