Irene Matt: Zauberschön. Märchenroman (ab 6 J.)

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Vandam
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Irene Matt: Zauberschön. Märchenroman (ab 6 J.)

Beitrag von Vandam »

Irene Matt: Zauberschön. Märchenroman, Eschbach 2019, Verlag am Eschbach, ISBN 978-3-86917-800-4, Hardcover mit Lesebändchen, 179 Seiten, mit zum Teil farbigen Illustrationen von Silvia Paparella, Format: 2 x 1,7 x 22 cm, Buch: EUR 20,00, auch als Kindle-Ausgabe lieferbar.

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In modernen Märchen haben die Figuren auch moderne Probleme. Lange Zeit ist alles bestens im Königreich Florapis. König Florobert VII regiert weise, das Land ist fruchtbar, die Bevölkerung fleißig und kreativ, der Tourismus boomt, die Bienen summen und die Wirtschaft brummt. Wenn’s jemals blühende Landschaften gegeben hat, dann hier!

Das Unheil nimmt seinen Lauf, als König Florobert VII beschließt, seinen Sohn , Prinz Florobert VIII, intensiver in die Regierungsgeschäfte einzubinden, um eine möglichst reibungslose Amtsübergabe vorzubereiten.

Ein Märchenprinz mit Angststörung
Der Prinz ist kein schlechter Kerl und auch durchaus aufgeweckt , aber seit einem traumatischen Erlebnis im frühen Kindesalter leidet er unter einer Angststörung. Er fürchtet sich vor Bienen und Blumen und allem und jedem. Sämtliche verfügbaren Therapien hat er schon erfolglos durchlaufen.

Als erste Amtshandlung ändert der Prinz seinen Namen. Er will nicht mehr, wie sein Vater, Florobert heißen. Ob man ihn wohl in seiner Jugend als Floh-Robert oder Flooooohbert gehänselt hat? Sein neuer Name „Geranobert“ ist jetzt auch nicht so der Brüller, aber wenn’s den Prinzen glücklich macht …!

In seiner zweiten Aktion spiegelt sich seine Angststörung: Er will das wunderschöne Land hinter einer gewaltigen Schutzmauer verschwinden lassen. Dafür müssen die Untertanen arbeiten und aufkommen. Das hat dramatische Auswirkungen: Die Leute sind frustriert und erschöpft und vernachlässigen ihre reguläre Erwerbsarbeit. Die Produktivität sinkt, die Kreativität nimmt ab. Das Land verliert an Attraktivität und die Touristen bleiben aus. Abschwung auf der ganzen Linie! Der alte König und seine Frau wissen sehr gut, dass ihr Sohnemann mit seinem Mauerprojekt Mist gebaut hat, aber sie wollen ihm nicht in den Rücken fallen. Also geht alles so weiter.

Ein „Drache“, der Ideen frisst
Die Aktivitäten auf der Großbaustelle locken den neugierigen Tatzelwurm Pankratz an, der gerade auf der Suche auf einem neuen Revier ist. Er ist ein eselsgroßer harmloserer Verwandter der Drachen, der sich von Rattenblut ernährt und von menschlichen Ideen, die er ihnen klammheimlich aus der Nase saugt. Das kann er unbemerkt tun, weil er die meiste Zeit unsichtbar ist. Nur wenn er von Hunger geschwächt ist, kann er den Unsichtbarkeitszauber nicht mehr aufrechterhalten.

Ein unsichtbarer Tatzelwurm, der die letzten Reste von Energie und Eigeninitiative aus den müden Menschen saugt und sie verzweifelt zurücklässt, ist so ungefähr das letzte, was dieses Land jetzt braucht! Das ist, als wäre die komplette Bevölkerung auf einmal an einer Depression erkrankt.

Durch Zufall entdeckt Ava, die patente Teenager-Tochter des Stadtrats Pirmin Propol den Tatzelwurm. Zum Glück verfällt sie nicht gleich in Panik, sondern erfasst blitzschnell die Zusammenhänge: Pankratz schädigt ihre Landsleute nicht aus böser Absicht, sondern weil er Hunger hat, Man müsste ihm ein alternatives Futterangebot machen, dann könnte er bleiben. Ihm gefällt’s in Florapis, und Ava mag den schuppigen Kerl.

Zusammen sorgen das Mädchen und der Tatzelwurm dafür, dass sich die Ratten im Land vermehren, weil sie ja auf Pankratz‘ Speiseplan stehen. Das funktioniert nur so mittelgut. Jetzt hat Florapis eine deprimierte Bevölkerung, eine Wirtschaftskrise und eine unkontrollierbare Rattenplage. Und als es immer wieder Drachensichtungen gibt, kommt auch noch eine Massenhysterie dazu. Die Bewohner von Florapis bewaffnen sich mit allem, was die Scheune hergibt, und gehen auf Drachenjagd. Da fühlt man sich an die Lynchszene aus dem alten Frankenstein-Film erinnert.

Die guten Seiten des Tatzelwurms
In der höchsten Not offenbart sich dann, dass Pankratz‘ Gefräßigkeit auch positive Aspekte hat. Ehe der Leser schaltet, hat die clevere Ava schon erkannt, wie jetzt vielleicht doch noch alles gut werden könnte. Doch die Sache hat nicht nur einen Haken, sondern gleich mehrere …

Wirtschaftskrise im Paradies, ein Märchenprinz mit Therapiebedarf, ein Nachtwächter mit Zwangsstörungen im subklinischen Bereich, ein Drache, den man ins Herz schließt, obwohl er Depressionen verursacht sowie Nachbarn und eine Dorfgemeinschaft, die keinen Deut besser sind die als im realen Leben –ich fand es herrlich!

Der jungen Zielgruppe wird manche Anspielung sicher entgehen. Kinder werden sich hauptsächlich über den verfressenen, rülpsenden Tatzelwurm amüsieren und um sein Leben fürchten, wenn die Bauern mit den Mistgabeln hinter ihm her sind. Auch als erwachsene*r Leser*in fragt man sich bis kurz vor Schluss, welche Lösung die Autorin wohl für das Tatzelwurm-Dilemma gefunden hat.

Nicht nur was für Kinder
Das gebundene Buch ist sehr attraktiv und aufwändig ausgestattet – mit goldfarbener Prägung auf dem Umschlag, Lesebändchen und den witzigen, meist farbigen Illustrationen von Silvia Paparella. Ich sehe ZAUBERSCHÖN nicht exklusiv als Kinderbuch. Man kann es auch gut einem Erwachsenen schenken, der Interesse an Psychologie hat und ein bisschen Spaß versteht.

Die Autorin
Irene Matt wurde 1964 in Bad Säckingen geboren. Ihre Kindheit verbrachte sie auf einem hotzenwälder Bauernhof. Die Versicherungskauffrau und Mediatorin widmet sich inzwischen ausschließlich dem Schreiben. Ehrenamtlich engagiert sie sich als Telefon-und Krisenseelsorgerin.
Sie lebt mit ihrem Mann, einem homöopathischen Arzt, und zwei Katzen bei Freiburg.
www.irenematt.de

Die Illustratorin
Silvia Paparella wurde 1983 in Livorno, Toskana, geboren. Die studierte Sprachwissenschaftlerin arbeitet als Illustratorin und Übersetzerin und interessiert sich für verschiedene Formen des Designs und Malens. Sie ist in Italien und Belgien aufgewachsen und lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern in Freiburg. www.mammabook.net
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