Ist eine Annäherung möglich?

Stellen Sie ein Buch detailliert vor - mit Inhaltsangabe und Ihrem Urteil.
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Talisa
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Registriert: So 16. Jul 2006, 17:21
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Ist eine Annäherung möglich?

Beitrag von Talisa »

Hallo zusammen,

es scheint das ich zur Zeit eine Phase der traurigen und schicksalhaften Bücher durchlese.

Diesmal fand ich beim Stöbern in unserer Bücherkiste Tessa de Loo "Die Zwillinge", erschienen
im btb Verlag, ISBN 3-442-72161-X, 477 Seiten und hat mich EUR 2,00 gekostet. Das Buch
wurde 2002 verfilmt.

Inhaltsangabe:
Nach über vierzig Jahren trifft die betagte Anna Grosalie unerwartet im Kurort Spa, auf ihre
verloren geglaubte Zwillingsschwester Lotte Goudrian, die ebenfalls wegen ihrer Arthrose
hier weilt.

Zunächst einmal ist Lotte irrititiert von der lauten deutschen Frau (Anna), und möchte
sich fernhalten Nur langsam näher sie sich aufeinander zu ,und erzählen, was seitdem
geschah. Ihre Unterhaltungen werden bestimmt vom Erleben des Zweiten Weltkrieg, der NS-Zeit,
und der Judenverfolgung.

Lotte und Anna wurden als Zwillinge in Köln geboren, und als ihre Eltern nacheinander an TBC sterben,
worden sie getrennt.Lotte, die damals schwächliche kommt in die Niederlande zu Verwandten. Dort
wächst sie relativ behütet in einer lebhaften Großfamilie auf, wo sie sich ihren Gesang widmet , und
nur einen despotischen Ziehvater in Kauf nehmen muss.

Leseprobe:
"Es sind nicht nur die letzten Tage des Vaters, die wir auf dem staubigen, goldgelben Bild sehen,
sondern auch die der Familie in dieser Zusammensetzung."

Anna trifft es dagegen nicht so gut. Sie kommt zu Verwandten in den Teutenburgerwald.Sie ist
mehr Dienstmagd, und arbeitet auf den Hof von früh bis spät. Ihre Stiefmutter behandelt sie schlecht,
die einzige Hilfe kommt von einem Pfarrer, der sie zu einer Ausbildung schickt.

In Deutschland kommt Hitler an die Macht. Annas Umgebung verändert sich und alles wird vom Diktator
bestimmt. Anna findet eine Anstellung bei einer Familie Stolz. Die Frau ist sehr pedantisch, und findet
es gar nicht gut, das Anna ihre wenige Zeit zum Lesen nutzt. Das beendet auch das Dienstverhältnis.
Daraufhin taucht eine Gräfin von Falkenau auf, und nimmt Anna in ihre Dienste. Es wird ihre Berufung,
doch der Krieg ändert vieles.

Leseprobe:
".. keiner ahnte, dass in der Randzone des Alltags ein Riß entstanden war, an jenem Morgen, als eine
bekannte Stimme, die sie schon oft vernommen hatten, daß sie längst nicht mehr zuhörten, aus dem
Volksempfänger in der Küche schallte:"Seit vier Uhr fünfundvierzig wird jetzt zurückgeschossen. und
von jetzt ab wird Bombe mit Bombe vergolten. Wer mit Gift kämpft, wird mit Giftgas bekämpft.."

Obwohl Lottes Familie in den Niederlanden lebt, trifft sie auch der Krieg. Sie gibt das Singen auf, um
sich der immer größer werdenden Familie zukümmern.Viele Juden finden bei ihnen Unterschlupf.

Nur einmal treffen sie sich Silvester in Köln, doch Lotte hatte sich falsche Illusionen gemacht, und reist
wieder ab. Nun sehen sie sich täglich und tauschen ihre Erinnerungen aus. Zwei gegensätzliche Leben.Immer
treffen sie sich in der Öffentlichkeit, als ob es etwas Anrüchiges ist. Anscheinend sind sie dazu verurteilt
über nichts andereres als über den Krieg zu reden.

Leseprobe:
"Ach,ja" sagte Lotte beruhigend und versuchte, Annas Emotionalität zu neutralisieren. "Je älter man wird,
desto mehr lebt man in der Vergangenheit. Was gestern war, vergißt man."

Umso mehr sie einander anvertrauen, umso stärker wird auch die Spannung und das Bewußtsein dass die
Vergangenheit unabänderlich ist. Es ihre letzte Chance sich anzunähern und auszusöhnen. Der einen
ist es ein tiefes Bedürfnis, und die andere sperrt sich dagegen aus einem mindestens ebenso tiefen
Misstrauen noch immer dagegen. Der Krieg hat ihr Leben überschattet.


Das Motto der Handlung lautet:
"Die Wel ist weit, die Welt ist schön, wer weiss ob wir uns wiedersehen."


Das Buch ist in drei Teile untergliedert:
Teil 1 Zwischen den Kriegen
Teil 2 Krieg
Teil 3 Frieden


Meine Meinung:
Es war schon ein bewegendes und trauriges Buch.
Der gemeinsame Haupttreffpunkt ist der Kurort Spa. In Rückblenden werden die verschiedenen
Leben der beiden Zwillinge erzählt, vorwiegend von Anna.

Eine nachdenkliche Erzählung,wenn man den Gedankengänge der Zwillinge folgt. Besonders die
Zeit des Ns-Regimes hat mich bewegt, wie alles so bestimmt wurde. Es scheint als ob es keinen
Widerstand gab. Ich weiss, das es auch andere Geschichten gibt.
Wahrscheinlich ist es auch ein Unterschied ob die Leute auf dem Land oder der Stadt wohnten.

Traurig bin ich nach wie vor über die Judenverfolgung, es lässt mich niemals kalt wenn Menschen,
nur wegen ihrer Herkunft umgebracht werden, oder wegen ihrer anderen politischen Meinung.

Die Autorin verwendet ein ruhige und sanfte Sprache. Die Worte sind so gewählt das sie nicht die
gesamte Handlung sprengen.Es fliesst alles ineinander über, und die Rückblenden haben mir
eine kleine Verschnaufpause verschafft.

Was an der der Geschichte auch interessant ist, das Tessa de Loo, mit einem Aussenblick, auf das
Naziregime schaut, und ein Seitenhieb auf die "Befreier" bleibt nicht aus.Das wirkt sehr authentisch,
wenn sie darüber schreibt, wie die Menschen ihren Alltag lebten.

Es ist für mich ein Thema, das nie vergessen werden sollte, denn Kriege wird es immer geben.

Ein andere Frage die mich beschäftigt hat,war, ob sich zwei Menschen, die sich vierzig Jahre, nicht
gesehen haben, wirklich soweit öffnen können. Und würden sie nur über den Krieg reden, und die
Erlebnisse? Im Buch kam es jedenfalls sehr glaubwürdig herüber, denn sonst gäbe es auch keinen
Plot für die Handlung.

Auch wenn das Buch einen ergreift, so empfehle ich es voll und ganz. Es regt zum Nachdenken an, und
wenn ihr noch jemanden aus dieser Zeit kennt, so kann er diese Handlung so ähnlich bestätigen.


Zur Autorin:
Tessa de Loo wurde am 15.Oktober 1946 in Bussum geboren. Sie studierte niederländische
Sprachwissenschaft und Literatur an der Rijks Universität. Als sie ihren Sohn Joris bekam, widmete
sie sich ganz der Schriftstellerei.
1983 veröffentlichte sie ihren ersten Erzählband "Die Mädchen in der Süßwarenfabrik", womit sie
sich als erfolgreiche Schriftstellerei etabilierte Tessa de Loo ist ein Pseudonym für Tineke Duyrené
de Wit, und stammt vom Familiennamen ihrer Großmutter.
Die Autorin lebt heute in der Nähe von Paris und auf einem Landgut in Portugal.


Liebe Grüße
Talisa

(dieser Bericht erschien auch in ciao und yopi)
krimtango
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Beitrag von krimtango »

Das Buch habe ich vor zwei Jahren gelesen, und war sehr davon angetan.
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