Angelika Schrobsdorff: Der Geliebte

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bienwald
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Angelika Schrobsdorff: Der Geliebte

Beitrag von bienwald »

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Zur Autorin:
Angelika Schrobsdorff geb. am 24. Dezember 1927 in Freiburg im Breisgau, ist eine deutsche Schriftstellerin. Ihre Mutter war eine assimilierte Jüdin, der Vater entstammte dem Berliner Großbürgertum.

Sie wuchs in Berlin auf und flüchtete mit ihrer Mutter und ihrer Schwester 1939 nach Bulgarien, wo sie bis zum Ende des Krieges blieb. Ihre Großmutter wurde in Theresienstadt ermordet.

Sie verbrachte ihre frühe Kindheit in Berlin, von wo aus sie 1939 mit ihrer jüdischen Mutter Else (die in erster Ehe mit dem Autor Fritz Schwiefert verheiratet war) nach Sofia emigrierte.

1947 kehrte Schrobsdorff nach Deutschland zurück. 1971 heiratete sie den französischen Filmemacher Claude Lanzmann, mit dem sie anschließend in Paris lebte. Es folgten einige Jahre in München, bis Schrobsdorff 1983 beschloss, nach Israel überzusiedeln.

Die Autorin lebte bis Anfang 2006 in Jerusalem, in einem Haus an der grünen Grenze nahe der Altstadt, das direkt an palästinensisches Gebiet angrenzte.

Heute lebt Angelika Schrobsdorff wieder in Berlin. Schrobsdorffs erster Roman Die Herren (1961) löste einen Skandal aus und machte die Autorin bekannt. Ihre Werke wurden und werden in etliche Sprachen übersetzt.

Sie kann dem Altwerden keine guten Seiten abgewinnen: "Ich werde immer radikaler und ungeduldiger." Sie glaubt, Frauen hätten es mit dem Verlust der Attraktivität doppelt schwer. Ihr Wunsch einen großen Altersroman zu verfassen, scheitere an einer altersbedingten Schreibblockade.
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Meine Inhaltsangabe:
Judith lernt Paul Hellmann kennen, als sie eine Freundin besucht. Paul wohnt dort im ausgelagerten sogenannten Atelier, hat seine Frau dabei, führt ein total verrücktes Leben, hat viel Geld, macht Geschäfte, fährt große Autos, genießt das Nachtleben in Berlin.
Judith heiratet später, und bevor sie sich scheiden lässt, möchte sie noch ein Kind, und bekommt auch einen Jungen. Sie wohnt dann zusammen mit dem Jungen, einem Kindermädchen und einer Haushaltshilfe in einer gemieteten Wohnung in München, lebt von ihrem Vermögen. Sie selbst ist depressiv, antriebsarm, nimmt Schlaftabletten um nachts zu schlafen, schlägt die Zeit tot, sie hat für nichts Interesse.
Da begegnet ihr auf ihren einsamen Spaziergängen plötzlich Paul, er läuft ihr einfach über den Weg, er hält sich zu Besuch in Deutschland auf. - Er hat sich sehr verändert und sie erfährt von ihm, dass er sein Leben total geändert hat, keine Geschäfte mehr macht, nicht mehr viel Geld verdient, Medizin studiert hat und in USA als Arzt in einem Krankenhaus arbeitet. Sein Rückflug geht bereits am nächsten Tag, aber er verschiebt den Flug, und sie verbringen eine Nacht in Tirol in einem kleinen Hotel.
Nach seiner Abreise beginnt auch für Judith ein anderes Leben; sie nimmt eine Stelle in einem Verlag an, wird sehr erfolgreich, ihr Leben hat wieder einen Sinn bekommen. Sie kauft sich eine neue große Wohnung, sie hat immer mal wieder einen Freund, aber nichts Ernstes. Ihre einzige große Liebe ist immer im Hinterkopf: Paul Hellmann. Und hält viele Jahre an, immer ist er der Stern an ihrem Himmel.
Als eines Tages ein Angebot ihres Verlags kommt, für 4 Wochen nach New York zu reisen, fliegt sie mit einem Kollegen in die USA und sucht nun Paul Hellmanns Adresse, als sie dort angekommen ist. Nach ein paar Tagen erreicht sie ihn tatsächlich, sie treffen sich, verleben ein paar aufregende und wunderschöne Wochen, und bevor sie wieder abreisen muss, hat er ihr einen Heiratsantrag gemacht, bereits ein Haus in Aussicht, das sie mieten werden. Und sie soll in Deutschland eben ihre Papiere und alles richten, damit die Hochzeit in New York bald stattfinden kann.
Aber bereits in New York befremdete sie zunehmend das Verhalten von Paul. Er ist übertrieben fromm geworden, findet Amerika toll und Europa scheußlich usw., und sie ist sich schon bei der Abreise sehr unsicher, ob sie überhaupt zurückkommen wird, und ob sie ihn heiraten wird.

In München, es ist Vorweihnachtszeit, nimmt sie ihr altes Leben wieder auf, geht in ihren Verlag, trifft sich wieder mit ihrem jungen Freund, und die vielen Briefe und Anrufe, die von Paul kommen, ignoriert sie mehr oder weniger. Sie hat eine regelrechte Aversion gegen ihn entwickelt, scheut sich aber, ihm das direkt zu sagen, bzw. Die Beziehung zu beenden.

Einen Tag vor Weihnachten kommt ein Telegramm, er kündigt seine Ankunft am Hl. Abend an. - Sie ist wie erschlagen; holt ihn dann am Flughaben ab mit ihrem Söhnchen, das inzwischen 6 Jahre alt ist. Ihr Sohn verhält sich sehr ablehnend gegenüber Paul. Paul ignoriert ihre Ablehnung, will also die Beziehung weiterführen.
Das Weihnachtsfest verläuft grauenhaft, es ist eine scheußliche Stimmung.
Da beschließt Paul einfach, dass sie nach Tirol fahren, in das kleine Hotel und dann woanders hin, wo Schnee ist usw., und meint, da würde sie auf anderer Gedanken kommen. Aber es wird nur noch schlimmer; er ist derart verschroben geworden, aber immer noch kann sie ihm nicht die Wahrheit sagen. Zwischendurch verhält er sich zwar mal wie ausgewechselt, aber sein Wesen ist derart verändert und für sie nicht zu ertragen.
Am Ende des Besuchs beenden sie das Verhältnis, auch Paul hat bemerkt, was los ist, und betrachtet sie mitleidig lächelnd, als er sich verabschiedet.

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Liest sich schön dieser Roman; im letzten Teil die Schilderung, wie sich diese in jahrelangen Phantasien gelebte große Liebe entwickelt, ist der Autorin gut gelungen, wobei in einigen Szenen das übertrieben dargestellt wird.

Schilderte sie die Zeit in New York noch gemäßigt, wird die Schilderung immer mehr so, dass man automatisch auf der Seite von Judith ist, also Paul wird mehr und mehr als regelrechtes Monster geschildert.

Gut, war vielleicht Absicht der Autorin; aber als sie über die Zeit in New York geschrieben hat, war das nicht so markant, also weitaus vorsichtiger ausgedrückt, aber dennoch gut erkennbar.

Abschließend finde ich dennoch, dass der Autorin eine gute Studie gelungen ist, diese "große Liebe", das Treffen nach Jahren mit dem "Traum", und dann die Entwicklung bis hin zum unvermeidlichen Ende zu schildern.

Herzlichen Gruß
Bienwald
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