Juli Zeh: Spieltrieb

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bienwald
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Juli Zeh: Spieltrieb

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Juli Zeh,
geboren 1974 in Bonn, wurde für ihre Bücher, die inzwischen in 28 Sprachen übersetzt sind, vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem

Deutschen Bücherpreis (2002),
dem

Rauriser Literaturpreis (2002),

dem

Hölderlin-Förderpreis (2003)

und zuletzt mit dem

Per-Olov-Enquist-Preis (2005).

Sie lebt und arbeitet als Autorin und freie Juristin in Leipzig.

Weitere Werke von ihr:

Adler und Engel (2001)
Die Stille ist ein Geräusch (2002)

Ein Hund läuft durch die Republik (2004) Spieltrieb (2004)

Kleines Konversationslexikon für Haushunde (2005)

Alles auf dem Rasen (2006),

sowie eine Bühnenfassung ihres Romans Spieltrieb (2006)

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Meine kurze Zusammenfassung:
Das Buch beginnt mit einem Teil eines Urteils, den "Entscheidungsgründen".
Damit kann man zunächst nichts anfangen, erst am Ende des Buchs sind die verständlich.
In einem Bonner Gymnasium beginnt die Geschichte, die eine atemberaubende Entstehung einer obsessiven Abhängigkeit beschreibt; zunächst zwischen einer Schülerin (Ada) und einem Schüler (Alev).
Zuerst nur die Entwicklung einer Bereitschaft, aber bald dann entsteht der Zwang zu Taten; alle Grenzen der Moral und menschlichen Mitgefühls werden überschritten

Die beiden wählen sich ihren Lehrer Smutek als Ziel einer in allen Einzelheiten geplanten Erpressung. Es beginnt ein perfides Spiel.
Zu Beginn ist Ada 14 Jahre alt, sie kommt als neue Schülerin in das Gymnasium, wo sie bald herausfindet, welche Lehrer ihr intellektuell gewachsen sind; es ist nur einer, der ihr Paroli bieten kann, aber Smutek gehört auch zu ihren "Favoriten", er ist der Freund des einen Lehrers, den sie als ebenbürtig betrachtet.
Die Schule unterfordert sie, sie langweilt sich. Es entwickelt sich nun eine makabre Geschichte, Ada, ein williges aber auch gleichwertiges Pedant zu Alev, verführt zunächst Smutek, und Alev ist mit der Kamera dabei. - Die Geschichte beginnt. -

Einzelheiten werde ich im Hinblick darauf, dass jemand das Buch lesen möchte, nicht ausbreiten, auch den Schluss nicht, weil die Spannung für den Leser schon erhalten bleiben soll.

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Einige bemerkenswerte Auszüge, entnommen aus Worten verschiedener Protagonisten:

"?????..vielleicht wusste er, wie man eine Welt errichtet, in der Sprache nicht wie ein gigantischer Spucknapf funktioniert, in den Milliarden von Menschen rotzen, um hinterher darauf saufen zu können??"

"????der Schlaf hingegen ist eine Farbe, schwarzrandig, aber nicht schwarz, in die wir hinter geschlossenen Lidern starren, nachdem die Augen umgekippt sind, um den Kopf von innen zu betrachten??.."

"????bald nach den ersten kindlichen Verständnisschritten, die sich noch an den Sicherheitsleinen der Logik entlanggetastet hatten, war Ada aufgefallen, dass das System des Denkens einen Fehler enthielt. Man konnte es nicht anhalten. Verstehen funktionierte wie Atmen. Ada beantwortete Frage, bevor sie gestellt wurden, das Verstehen war kein Vorgang, es war ein Zustand, um nicht zu sagen eine Krankheit. Die wenigen Dinge, die sich nicht begreifen ließen, gewannen den Stellenwert von Heiligtümern, sie waren Indizien für die Existenz eines letztverbliebenen Zufluchtsorts??.."

"?? schon vor Schulbeginn strengte die Sonne sich bei ihren Aufwärmübungen an. Über den Köpfen der Menschen wippten weiße Blüten vor blauem Hintergrund wie in einer öffentlich-rechtlichen Sendepause ?.."

"??????.. Nennt es, wie ihr wollt. Interessanter ist die Frage, was geschieht, wenn ein Richter einen Fall sorgfältig prüft, die einschlägigen Normen findet und auslegt, den Sachverhalt subsumiert, Abweichungen und Ausnahmen durchdenkt und widerstreitende Theorien in Einklang bringt, und wenn er am Abend in sich hineinhorcht, um ein Urteil zu finden, und es antwortet ihm - nichts! Er wird wild zu blättern beginnen. Den Fall noch einmal prüfen. Einen Kollegen befragen. Drei Tage Urlaub nehmen, an etwas andres denken, das Ganze in Ruhe von vorn beginnen. Und erneut zu keinem Ergebnis gelangen ?."

"???.. ein Tier muss an nichts glauben außer an den unsinnigen Sinn des Überlebens. Allein, der pragmatische Mensch unterscheidet sich vom pragmatischen Tier in einer bedeutenden Einzelheit. Sein Spieltrieb erlischt nicht mit dem Eintritt der Geschlechtsreife. Sein Spieltrieb lebt ewig. Ob das den menschlichen Pragmatismus zu einer gefährlichen Einrichtung macht - ich vermag es nicht zu sagen ?????"

"???.. Die Beschuldigten hatten nicht in Untersuchungshaft gesessen. Sie werden von ihren Verteidigern erfahren haben, dass die kalte Sophie sich anschickte, ihnen den Prozess zu machen. Ich kann es es vor mir sehen, wie die Anwälte die Köpfe wiegten und mit den Zeigefingern wackelten. Ich will Sie nicht beunruhigen, aber das sieht schlecht für uns aus. Gewiss ahnte niemand, dass es ein Glücksfall war. Gerechtigkeit gibt es in der Hölle. Im Himmel herrscht Gnade ????."
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Was die Autorin zu diesem Titel "Spieltrieb" veranlasst hat, versteht man schon nach ein paar Seiten dieses Buchs.
Die Autorin bedient sich zahlreicher philosophischer Betrachtungen über Recht und Unrecht, Macht, Moral etc., die sich durch das ganze Buch, und auch die Aussagen fast aller Personen ziehen, die in diesem Buch vorkommen.

Die Schilderung der eigentlichen Geschichte gewinnt ihre ganz besondere Note dadurch, wie Reales, Aktivitäten, Gedankengänge, Überlegungen usw. geschildert werden, insbesondere durch Dialoge, auch gedanklichen Dialoge, Erleben des Realen und auch der Phantasie.
Und ganz besonders, hier in diesem Buch noch sehr viel mehr als in dem ersten Buch von ihr, das ich gelesen habe viewtopic.php?t=5075 ihre unnachahmlichen Schilderungen von umgebenden Bildern, die aber immer im Zusammenhang mit der Geschichte stehen.

Die Autorin gehört zu meinen absoluten Favoriten im Autorenbereich. Und zu ihren Preisen werden noch einige hinzukommen, sie ist erst 34 Jahre alt.
Herzlichen Gruß
Bienwald
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