Pierre Péju: Schlaf nun selig und süß

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bienwald
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Pierre Péju: Schlaf nun selig und süß

Beitrag von bienwald »

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Pierre Péju, geb. 1946, ist Dozent für Philosophie, Essayist und Autor mehrer Biografien, u.a. über Tieck, Chamisso und Bonaventura.

Sein Romandebüt "Die kleine Kartäuserin" war ein Sensationserfolg.

Für sein Buch "schlaf nun selig und süß" erhielt Péju den renommierten Buchhändlerpreis Prix du Roman Franc.

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Meine Zusammenfassung:
1963 verbringt der junge Franzose Paul bei seinem Brieffreund einen Sprachurlaub. In einem kleinen Dorf, von einem Wald umgeben, das dennoch ein düsteres Verbrechen birgt.
Da ist ein Haus, unbewohnt, überwuchert, verkommen. Als Paul dann erfährt, dass in diesem Haus eine Familie mit zwei Kindern gewohnt hat, und der Vater die beiden Kinder getötet haben soll, die Frau verschwunden ist, erfährt er schreckliche Geheimnisse, Begebenheiten aus dem 2. Weltkrieg, er will mehr erfahren.
Er lernt die Tochter des Dorfarztes, Dr. Lafontaine, kennen, Clara. Und er besucht sie später auch zuhause, und erfährt dann die Geschichte von Claras Vater, damals Militärarzt, und Moritz, dem Familienvater, die zusammen an der Front waren.
Paul war auch aufgefallen, dass im Wald an einer Lichtung, einem scheinbar unheilvollen Ort, immer frische Rosen sind?
Der Ursprung der Tragödie geht zurück in die Kriegsjahre, wo der Dorfarzt, Dr. Lafontaine, und dieser Vater der später ermordeten Kinder, Moritz, zusammen an der Front waren. Es werden grausame Geschehnisse geschildert, über die beide niemals hinwegkommen werden.
Mit Clara, der Tochter von Lafontaine, verbindet Paul etwas ganz besonderes. Sie ist immer mit ihrer Kamera unterwegs, nimmt alles auf. Die Geschichte ihrer Mutter und ihres Vaters wird erzählt, Lafontaine ist Nachfolger von französischen Einwanderern, sein Vater wurde in Paris ermordet. Und dem Grund geht später Clara nach, und sie kann alles auch ganz genau recherchieren.

Clara und Paul treffen sich in Paris, dann wieder erst viele Jahre später, verlieren sich aus den Augen, aber immer wieder gibt es ein Treffen. Sie ist mittlerweile eine weltbekannte internationale und preisgekrönte Fotografin.
Paul selbst lebt in Paris, heiratet dann eine Krankenschwester, mit ihr zieht er in ein Bergdorf, weit abgelegen, wo er vorher in der Nähe einen Bildhauer kennen gelernt hatte. Dort leben sie in einem alten großen Haus, seine Frau arbeitet als Hebamme dort und er haut alles mögliche in Steine, es ist sein großes Hobby geworden, und er verdient sogar Geld damit, seine Skulpturen sind seltsam, bekommen aber einige Preise und werden auch gekauft. Sie haben zwei Kinder.
Später, nachdem seine Frau an Leukämie gestorben war, ist Paul unterwegs in der ganzen Welt, trifft auch wieder Clara. Sie ist in allen Kriegsgebieten unterwegs mit ihrer Kamera und wird schließlich durch einen Querschläger bei einer Schießerei im Nahen Osten erschossen.

Was den Autor zum Titel des Buches veranlasst hat, kann ich mir so denken: Am Anfang wird ein Märchen erzählt von einem Riesen, der alle kleinen Kinder frisst; und als eines Tages zwei Kinder (1 Mädchen und 1 Junge) auftauchen dort im Wald, wo er auf die Kinder lauert, nimmt er sie in seine Arme und möchte sie aufheben als Delikatesse für später. Damit sie nicht weglaufen, lehnt er sich an den Baum, wo er sitzt, in jedem Arm ein Kind, festgehalten, dass es nicht weglaufen kann. Die Kinder schlafen bald ein, er auch. Als er aufwacht, sind beide Kinder tot, er hat sie totgedrückt im Schlaf. Und jetzt möchte er sie nicht mehr auffressen. - Da taucht am nahen Weiher ein junges hübsches Mädchen auf?und durch Zauberei von ihr werden die Kinder wieder lebendig?. usw. ...und aus dem Mädchen wird eine schrumplige, uralte Frau....


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Ein paar Auszüge:
"?.Sollte Lafontaine je wieder sein Heft benutzen, so wüsste er, dass er etwas schreiben würde, was diesem wütenden Credo nahe käme: >Die Welt ist nichts als die Anstrengung, die Gott unternimmt, um sich selbst zu zerstören, so schockiert ist er über seine eigene Schöpfung?..Die Welt mit allem, was darin geschieht, ist nichts als eine selbstmörderische Verrenkung Gottes, der sein misslungenes Werk noch mehr verschandeln, seine Göttlichkeit ruinieren will. Das große Schlamassel eines Gottes, der versucht, Schluss zu machen. Endlos! Das ist mein Glaube. Sollte es Gott doch gelingen, sich selbst zu zerstören, dann würde danach kein Dunkel herrschen. Ein seltsames Leuchten entstiege den Dingen, den Wesen, den Gedanken. Überall gäbe es flackerndes Licht, nutzloses Licht. Überall gleichwertige, unheimliche Dinge.<"

Hier ein Dialog zwischen Clara und Paul, sehr viel später, als sie sich mal wieder trafen:
">Weißt du Paul, ich wollte viel zu sehen bekommen. Und ich habe zu viel gesehen. Ich habe auf Film gebannt, so viel ich konnte. Ich dachte, ich würde in eine Art Geheimnis eingeweiht?.< ?.>aber was für ein Geheimnis ist das denn? Was meinst du damit?< ?.>Du weißt genau was ich damit meine. Früher wusstest du es jedenfalls besser als irgendjemand sonst?.>??.>Ich glaube, dir und mir sind, als wir sehr jungen waren, Dinge zugestoßen, die zu schlimm waren. Das hat uns das Herz zermalmt. Aber vielleicht gibt es da gar nichts zu verstehen?.und nichts zu tun.>?. >Ich jedenfalls habe versucht zu verstehen, wie Menschen es schaffen, nicht als Einzelne Böses zu tun - das ist schließlich einfach! -,sondern gemeinsam solche Mengen von Bösem hervorzubringen, dass es irgendwann keiner mehr aufhalten kann und sich das Grauen ausbreitet wie schwarzer Schaum.>? ?.>ich war im Krieg, ich habe die Opfer gesehen, die Mörder. Aber du kannst auch sagen, dass ich überhaupt nichts gesehen habe! So jedenfalls bekommt man keinen Einblick in den Wahnsinn! Das verstehst du hoffentlich? Kein Film lässt sich von dem Schlimmsten beeindrucken.<"
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Ein von Anfang an sehr spannend zu lesendes Buch, dessen Geschichten sich über die Jahrzehnte von ca. 1939 bis ca. 2005 hinziehen.
Auffallend auch, dass der Autor ganz neutral diese Geschehnisse erzählt, also weder von der französischen noch der deutschen Warte aus, das spielt alles keine Rolle; ihm geht's ganz alleine um das Grauen, dass Kriege hervorbringen bzw. erzeugen.
Und darzustellen, wozu Menschen fähig sind, aber auch, wie Menschen mit den Erinnerungen an diese erlebten Morde usw. später leben müssen.

Das Buch ist in Paris erschienen 2005, in Deutschland 2007.
Herzlichen Gruß
Bienwald
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