Wie realistisch sollen Krimis sein?

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williwu
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Registriert: Mi 18. Mai 2011, 01:11

Wie realistisch sollen Krimis sein?

Beitrag von williwu »

Hallo,

mich würde einmal ein Stimmungsbild interessieren, wie die Notwendigkeit von Realismus in Krimis/Thrillern gesehen wird.

Ob nun Fernsehen oder Buch, Krimis strotzen vor vielen kleinen, unnötigen Fehlern:
  • Da wird munter mal festgenommen, mal verhaftet, mal vorläufig festgenommen, mal vorläufig verhaftet; immer sagt der Kommissar "Ich verhafte Sie!". Eigentlich ist die Sache klar: Die Polizei darf aus eigener Macht heraus nur das, was jeder Bürger darf, nämlich vorläufig festnehmen. Eine nicht vorläufige Festnahme ist nur dann erlaubt, wenn die Polizei als Institution verbal oder tätlich angegriffen wird. Und Verhaftungen erfordern immer einen richterlichen Haftbefehl, der Polizist sagt dann "Sie sind verhaftet", nicht "Ich verhafte Sie", das tut er nämlich nie. Eine vorläufige Verhaftung ist vollkommener Quatsch. Eigentlich doch gar nicht so schwer, sollte man meinen, aber es geht nicht in die Schädel von vielen Krimiautoren hinein.
  • In Krimis ist immer vom "Verhör" die Rede. Das ist auch der Terminus technikus, aber die offizielle Bezeichnung lautet "Vernehmung". Im Deutschen ist das Wort "Verhör" durch Gestapo- und Stasi-Vergangenheit belastet. Wenn dann in einer Fernsehserie ein Satz fällt wie "Das war noch kein Verhör, das war nur eine Vernehmung", dann ist der Schwachsinn komplett.
  • In der gleichen Krimiserie fiel auch der Satz "Ich bin kein Polizist, ich bin Kriminalkommissar, das ist etwas anderes." Den Drehbuchautoren würde ich gerne mal sprechen und fragen, was er eigentlich raucht, wenn er schreibt.
  • Nicht ganz so plump, aber doch immer wieder ungern gehört und gelesen: Da ist auf Polizeirevieren von Arbeitsgericht, Arbeitsverträgen, Abmahnungen, Einstellungen zur Probe (die der jeweilige Kommissar nach eigenem Gusto erteilt oder auch nicht) die Rede, als ob Polizisten keine Beamten wären, die eben dem Beamtenrecht des jeweiligen Landes oder des Bundes (im Falle der Bundespolizei) unterworfen wären.
  • Die ewigen Praktikantinnen, die diesen Status auch noch mit weißen Haaren innehaben werden, egal ob aus Finnland, Kasachstan oder überhaupt, sind natürlich auch lästig.
  • Jeder Krimi muss heute Rechtsmediziner und deren Untersuchungen enthalten. Dass diese - anders als amerikanische Coroner - nicht Bestandteil der Polizei, sondern eines Klinikums und somit keine Kollegen der Polizisten sind, ist nur ein Teil der falschen Darstellung. Dass sie nur für medizinische Untersuchungen (übrigens nicht nur an Leichen, sondern zB auch zur Feststellung von Kindesmisshandlung an glücklicherweise noch lebenden Kindern oder zur Beweissicherung an vergewaltigten Frauen) zuständig sind, ist eine weitere Tatsache. Dass Leichenschauen oder Obduktionen, wenn von der Staatsanwaltschaft angeordnet, nicht in einem leeren Saal stattfinden, bei dem die Polizei mal kurz vorbeischaut, sondern immer mit mindestens zwei ausgebildeten Ärzten, meist in einem Saal, der den Charme eines Hauptbahnhofs zur Hauptverkehrszeit versprüht, und dass mindestens zwei Polizisten die ganze Zeit schon kraft Gesetzes anwesend sein müssen, sollte zumindest in Büchern richtig dargestellt werden, in Filmen ist das vielleicht nicht immer möglich, das sähe ich notfalls ein.
  • Über die Konkurrenzen zwischen Landes- oder gar Bundeskriminalamt, deren Vertreter immer auftreten, als seine sie der Sonnenkönig persönlich, mit den betroffenen Kommissariaten ärgere ich mich schon gar nicht mehr (obwohl diese Ämter meist als Dienstleister zu Hilfe gerufen werden). Wohl aber, wenn der Verfassungsschutz wie der MI5 und seine Vertreter wie James Bond auftreten, mit Waffen hantieren und die ganze Republik verwanzen.
  • Richtig ärgern tu ich mich, wenn es den Polizisten so völlig egal ist, ob sie in verschlossene Wohnungen eindringen, bei Vernehmungen täuschen und tricksen, angeblich unbegrenzte Konteneinsicht haben (was natürlich auch nur durch eine richterliche Anordnung geschehen kann) oder überhaupt der berühmte Satz fällt "bei einem Mord dürfen wir alles!"
  • Und dann sind da noch die Staatsanwälte, die manchmal gar nicht da sind, obwohl sie eigentlich im Strafverfahren die Ermittlungen leiten müssten. Oder die immer da sind und auch disziplinarische Rechte haben, als seien sie Dienstvorgesetzte der Polizisten und könnten mit einem Satz deren Karrieren vernichten. Oder die gleich das ganze Verbrechen aufklären.
  • Genauso schlimm sind die Darstellungen der Schupo, die zu Aktenträgern, Kaffeeholern und überhaupt nur Befehlsempfängern der allmächtigen Kommissare degradiert werden.
Die Liste lässt sich natürlich noch fortsetzen, in der Eile fiel mir nur gerade nicht mehr ein.

Ich frage mich natürlich auch, warum die blöden Attentäter immer einen roten und einen blauen Draht nehmen (statt einfach überhaupt nur eine Farbe und warum überhaupt noch Drähte statt gleich einer Platine - am besten SMD-Technik - und warum einer davon immer alles abbrechen muss, aber der andere nicht und warum die Bombe nicht einfach hochgeht sondern immer einen Countdown hat - naja, das mag dramaturgisch bedingt sein, ist aber Quatsch - und überhaupt, ist das nicht alles abgelutscht?).

Natürlich kann man die Polizeiarbeit nicht realistisch darstellen, jeder wirklich realistische Krimi wäre wahrscheinlich stinklangweilig. Aber gerade die unsaubere Darstellung von solchen Kleinigkeiten, die eigentlich jedes Mal doch vielen Menschen auffallen müsste (viele Menschen sind im öffentlichen Dienst und kennen sich mit Beamtenrecht aus, viele Menschen arbeiten in Banken und wissen, wie die Polizei an Informationen kommt und das das nie mit einem Anruf aus dem Kommissariat getan ist; viele Menschen würden sich zu Recht dagegen verwahren, wenn sie so von der Polizei behandelt würden, wie es viele Krimi(drehbuch)autoren offenbar für opportun halten).

Natürlich rede ich nicht von Krimiserien, in denen ein niedlicher Hund, ein affiger Affe, ein hiernichtszusuchenhabender Seelöwe, ein fetter Priester, eine freche Nonne, ein gestörter Psychologe, eine alberne Gärtnerin, eine affige Rentnerin mit nerviger Stimme in Möchtegernmissmarplemanier oder Sky Dumont den Helden spielen. Sowas lese ich gar nicht oder sehe es nur unter Zwang meiner Kinder (Sky Dumont nicht einmal dann).

Wie seht ihr das? Stoßen euch solche Fehler (vor allem die, die so einfach zu vermeiden sind) auch sauer auf oder sind sie euch egal? Und selbst wenn sie den meisten Lesern oder Zuschauern egal sind, sollte man sie nicht trotzdem vermeiden?
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spiralnebel111
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Re: Wie realistisch sollen Krimis sein?

Beitrag von spiralnebel111 »

Wenn es so plump ist, dass es sogar mir ins Auge fällt, stört es sicher! Ich habe keine Ahnung von Beamten mit und ohne Recht usw., aber manchmal stehen sogar mir die Haare zu Berge, dabei sehe ich mir recht selten Krimis an.
Wenn der Krimi auf "heitere Unterhaltung" abzielt, wie einst Miss Marple in schwarzweiß, sehe ich das locker. Ist aber das "Polizeiumfeld" fester Bestandteil der (hoffentlich) spannenden Handlung, wird es schnell lächerlich.

Interessanter ist es sicher, wenn die echten Krimifans sich äussern!
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Korsar77
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Re: Wie realistisch sollen Krimis sein?

Beitrag von Korsar77 »

Hi williwu!

Danke für diese Beschreibung! Ich hab erst mal herzlich gelacht! :lol:

Take it easy: Du hast ja recht, aber eben vor allem mit dem Satz, dass eine realistische Darstellung stinklangweilig wäre...

Das gilt nicht nur für Filme, sondern auch für Bücher!
Niemand möchte den Dienstalltag unserer Beamten kennenlernen, sondern auf Verbrecherjagd gehen - so wie früher als Kind im Spiel! :mrgreen:

Daher nehme ich es relativ gelassen. Außerdem lese ich halt viele Bücher aus Amerika/England und da kenne ich mich mit den realen Gegebenheiten sowieso nicht aus bzw. mein "Wissen" stammt halt nur aus diesen Krimis! :P

Gruß
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williwu
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Re: Wie realistisch sollen Krimis sein?

Beitrag von williwu »

Korsar77 hat geschrieben:Take it easy: Du hast ja recht, aber eben vor allem mit dem Satz, dass eine realistische Darstellung stinklangweilig wäre...
Von der Arbeit bzw. von den Fällen. Aber wo die Grenze ziehen? Warum tragen die Fernsehpolizisten dann keine roten Uniformen, wenn die realistische Darstellung so völlig egal ist. Vieles sehe ich ja ein. Wenn Anwälte im Fernsehen herumhüpfen und wie Matlock selig "Einspruch" quaken, dann verstehe ich, warum. Ich verstehe das, weil ich bei einigem Strafverfahren Zuschauer war und fast eingeschlafen bin (ein weiterer Grund gegen öffentliche Übertragungen von Gerichtsverfahren - eine Nation würde zeitgleich pennen, jede Menge Bügeleisen würden Brände verursachen, Kuchen würden anbrennen, und kein Anwalt, der "Einspruch" ruft).
Nein, unsere Krimikommissare sollen ruhig selbst durch den Wald streifen, mit gezogener Waffe den Täter stellen - niemand will Polizisten am Schreibtisch beim Abfassen von Berichten sehen.

Aber doch, wenn also nicht nur die grünen Uniformen sondern sogar der Wechsel zu den blauen mitgemacht wird, dann doch bitte auch in anderen Details, deren Einhaltung weder der Spannung abträglich noch den Inhalt der Geschichte verfälschend ist.
Korsar77 hat geschrieben:Daher nehme ich es relativ gelassen. Außerdem lese ich halt viele Bücher aus Amerika/England und da kenne ich mich mit den realen Gegebenheiten sowieso nicht aus bzw. mein "Wissen" stammt halt nur aus diesen Krimis!
Ha! Gerade amerikanische Polizeikrimis haben eine lange Tradition der realistischen Darstellung. Fast jeder US-amerikanische Krimiautor, der etwas auf sich hält, hat eine Zeitlang bei der Polizei hospitiert (vgl. Larry Beinhart, "Crime - Kriminalromane und Thriller schreiben").

Mir kommt es so vor, als hätten auch viele deutsche Krimiautoren (auch und gerade die Drehbuchautoren) ebenfalls die amerikanischen Krimis als Vorbild. Das funktioniert aber nicht. Die Privatdetektivin "Bella Block" von Doris Gercke musste im Fernsehen zur Kommissarin gemacht werden, weil die Polizei in Deutschland in der Bevölkerung ein ganz anderes Ansehen hat als in den USA, während man Privatdetektiven zu Recht in der Kriminalitätsbekämpfung nichts zutraut. Wenn denn die Polizei so wesentlich ist, dann sollte man ihr aber auch in der Darstellung gerecht werden, meine ich.
spiralnebel111 hat geschrieben:Wenn es so plump ist, dass es sogar mir ins Auge fällt, stört es sicher!
Ja eben. Das ist ja eine individuelle Grenze. Dem einen fällt irgendwo ganz schnell, dem anderen erst spät und dem dritten irgendwo dazwischen etwas auf. Die, denen nichts auffällt, würde es doch nicht stören, wenn man diese Grenze so exakt wie dramaturgisch nur möglich einhielte, oder?
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Korsar77
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Re: Wie realistisch sollen Krimis sein?

Beitrag von Korsar77 »

Hi, williwu

Ich gebe dir insofern recht, dass es tatsächlich ein Widerspruch ist, wenn einerseits die Uniformfarbe "mitgenommen" wird, andererseits juristische Fehler ignoriert werden! Und einige Dinge, wie "Verhör" "Vernehmung" würde ich einfach richtig darstellen .

Wahrscheinlich haben die Drehbuchautoren keinen Polizisten gefunden, der die Drehbücher mal quer liest und solche Dinge rauswirft. Dabei wäre das doch eine schöne Aufgabe für so manchen Pensionär.

Wie gesagt, in den amerikanischen Krimis kann ich es gar nicht wirklich beurteilen, freue mich aber, dass ja anscheinend dort realitätsnäher beschrieben wird. (So kann ich mir einbilden, dass ich tatsächlich noch was gelernt habe! :lol: )

Gruß
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Graphit
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Registriert: Do 12. Nov 2009, 16:49

Re: Wie realistisch sollen Krimis sein?

Beitrag von Graphit »

Ich denke, dass Krimis eher langweilig sind, wenn sie zu realistisch geschrieben werden. Die Polizeiarbeit dürfte in der Wirklichkeit eher schleppend sein und so etwas kommt in einem krimi nicht an.
williwu
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Re: Wie realistisch sollen Krimis sein?

Beitrag von williwu »

Graphit hat geschrieben:Ich denke, dass Krimis eher langweilig sind, wenn sie zu realistisch geschrieben werden. Die Polizeiarbeit dürfte in der Wirklichkeit eher schleppend sein und so etwas kommt in einem krimi nicht an.
Wie ich ja bereits schrieb. Aber hier ging es um die Frage, wie die Darstellung der nicht handlungsrelevanten Details geschieht. Natürlich sind Krimis ausgedachte Geschichten, und der Spannungsbogen verlangt eine dramaturgische und keine realistische Planung. Aber welcher Krimi wird langweiliger, weil der Polizist zB korrekt jemanden festnimmt statt ihn unkorrekt ohne Haftbefehl zu verhaften? Langweiliger wird er nicht, nur unglaubwürdiger. Die, die um die Realität wissen, stört das, den anderen ist es doch sowieso egal. Da schreit doch niemand auf: "Die reden von Festnahme, dieser Krimi ist zu realistisch!"

Ich wage die Behauptung: Auch im realistischen Drumherum sind spannende Krimis möglich, sie müssen nur in die reale Welt passen, nicht die Welt in den Krimi hineingequetscht werden.
Onkelscher
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Re: Wie realistisch sollen Krimis sein?

Beitrag von Onkelscher »

Ich finde solche "Fehler" eigentlich nicht schlimm, solange die Geschichte spannend ist. Ob jetzt eine Festnahme oder Verhaftung, Jacke wie Hose. Da ich selbst kein Polizist, bzw. Experte bin, ist mir das egal. Aber ich kann mir vorstellen, dass Leute, die mehr Ahnung haben, am Rad drehen. ^^

Achja...aus persönlicher Erfahrung weiß ich, dass die Polizei gerne trickst und versucht an eine stillschweigende Erlaubnis zu kommen. Man sollte - wenn man weiß, welche Rechte man hat - auf diesen beharren, sonst machen sie was sie wollen, auch mit Einschüchterung ^^

LG
williwu
Beiträge: 782
Registriert: Mi 18. Mai 2011, 01:11

Re: Wie realistisch sollen Krimis sein?

Beitrag von williwu »

Andererseits würde es auch nicht schaden, wenn man sich einfach an diese profanen Dinge hält. Die, denen es egal ist, kann es ja weiterhin egal sein, und die anderen sind etwas mehr befriedigt.

Ich weiß nun nicht, was du mit "stllschweigender Erlaubnis" meinst. Einen Durschsuchungsbeschluss oder einen Haftbefehl gibt es nicht stillschweigend, auch nicht etwa eine Bankeneinsicht. Aber natürlich gibt es auch bei der Polizei konkludentes Verhalten und damit ein Gebiet für Missverständnisse, die ggf. die Polizei für sich ausnutzt. Aber sicher nicht mehr, als etwa in jeder Arge. Eher weniger, wage ich zu behaupten.
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