Birgit Ebbert: Brandbücher – Kriminalroman

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Vandam
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Birgit Ebbert: Brandbücher – Kriminalroman

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Birgit Ebbert: Brandbücher, Meßkirch 2013, Gmeiner Verlag, ISBN 978-3-839214480, 281 Seiten, Softcover, Format: 19,8 x 12 x 2,2 cm, EUR 11,99.

"Dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen." Heinrich Heine

Die Bauingenieurin Karina Bessling, Mitte 20, kommt aus Stuttgart angereist, um in einer nicht näher bezeichneten Stadt nahe der deutsch-niederländischen Grenze das Haus ihrer Großtante Katharina aufzulösen. Viel weiß sie nicht über ihre Verwandte. Die verstorbene Katharina Bessling war nie verheiratet, ist 1938 nach Frankreich gegangen und hat dort jahrzehntelang mit ihrem Lebensgefährten ein Restaurant betrieben. Erst im hohen Alter ist sie an ihren Heimatort zurückgekehrt und hat das Haus gekauft, in dem sie als junges Mädchen als Hausangestellte gearbeitet hat.

Für eine einfache Landarbeitertochter war Katharina erstaunlich belesen. Sie war couragiert, wortgewandt und unkonventionell und ihre Familie konnte überhaupt nichts mit ihr anfangen.

Karina stößt bei den Aufräumarbeiten auf einen Safe mit alten Dokumenten und auf eine kuriose Sammlung historischer Ansichtskarten, die Katharina für tagebuchartige Aufzeichnungen genutzt hat. Aber warum hat sie die Daten verschlüsselt und einzelne Buchstaben im Text unterstrichen? Ein Geheimcode? Für wen und wozu?

Karina liest sich in den Aufzeichnungen fest. Sie beginnen im Mai 1933. Ihre Großtante hat bei dem verwitweten jüdischen Buchhändler Jakob Weizmann und seinem Sohn Samuel als Hausangestellte gearbeitet. Die Weizmanns sind freundlich und unkompliziert, bei ihnen fühlt sie sich wohl. Doch auf die Familie und auf Katharina kommen schwere Zeiten zu.

Aus einer zweiten Erzählperspektive erfährt der Leser vieles, was Karina erst recherchieren und sich zusammenreimen muss. Wir erleben sozusagen „live“ mit, wie es dem Abiturienten Samuel und seinem Vater nach Hitlers Machtübernahme ergeht. Von Kindesbeinen an ist Samuel mit dem Arztsohn Bruno Schulze-Möllering befreundet. Gemeinsam gehen sie zum Studieren nach Münster. Samuel will Arzt werden, Bruno studiert Theologie. Doch bald ist es mit der Freundschaft vorbei – Bruno schließt sich den „Braunhemden“ an und bereitet mit seinen Parteifreunden eine Bücherverbrennung vor. Da gerät natürlich auch der Bestand der Weizmannschen Buchhandlung in den Fokus seines Interesses. Und die hübsche Hauangestellte Katharina …

Weizmanns und Katharina erweisen sich als überaus halsstarrig. Jakob denkt nicht daran, seine verbotenen Bücher von den Nazis beschlagnahmen zu lassen. Lieber lässt er sie verschwinden. Samuel taucht trotz der „12 Thesen wider den undeutschen Geist“ immer wieder an der Universität auf. Er will trotz aller Bedrohungen weiterstudieren. Auch Katharina will nicht so wie die Schulze-Möllerings. Doch mit ihrem Widerstand werden sie auf Dauer nicht durchkommen. Die Braunhemden sitzen am längeren Hebel.

Großnichte Karina hat bei ihren Nachforschungen inzwischen Hilfe bekommen – von Freundin Jenny, vom sympathischen Pastor Martin Kleine und von Großonkel Georg aus Santa Monica/USA, der telefonisch sein Wissen beisteuert.

Immer noch sind verschiedene Fragen ungeklärt:
  • Was hat es mit Großtante Katharinas Postkarten-Tagebuch auf sich?
  • Was wurde aus der Familie Weizmann? Und was haben Sie seinerzeit eigentlich mit den verbotenen Büchern gemacht?
  • Warum hat Katharina die alte Weizmann-Buchhandlung gekauft?
  • Wo sind die 50.000,- Euro hingekommen, die Katharina als Entschädigung für den Abriss des Gebäudes erhalten hat?
  • Was bewog sie damals, nach Frankreich zu gehen?
  • Und welche Rolle spielte die Familie Schulze-Möllering, die immer wieder in Katharinas Notizen auftaucht?
Der Leser weiß aufgrund des zweiten Erzählstrangs, dass die honorigen Schulze-Möllerings ordentlich Dreck am Stecken haben. Karina weiß das zunächst nicht. Sie recherchiert unbefangen bei der Regionalzeitung und in den Archiven von Stadt und Kirche. Das passt manchen Leuten gar nicht in den Kram! Drohbriefe und eingeworfene Fensterscheiben im Haus der Großtante sind erst der Anfang …

Die Schicksale der Familien Weizmann, Bessling und Schulze-Möllering vorm Hintergrund des Dritten Reichs sowie Katharinas Spurensuche sind spannend genug, da sind die Krimi-Elemente eigentlich nur eine Zugabe.

Wieder einmal zeigt sich, dass Ereignisse aus der Geschichte erst so richtig fassbar werden, wenn man sie anhand (fiktiver) Menschen personalisiert. Auf einmal sind das keine drögen Fakten mehr, sondern Ungeheuerlichkeiten, die jemand getan hat oder erlebt hat, den man „kennt“. Die Verkündung der „12 Thesen“ an der Universität und der Akt der Bücherverbrennung sind so unglaublich beklemmend geschildert, dass man es fast nicht aushält, diese Passagen zu lesen. Und es wundert einen überhaupt nicht, dass die Nachfahren der Verantwortlichen darauf aus sind, diese Ereignisse unter dem Deckel zu halten.

Der Roman BRANDBÜCHER ist keine leichte Kost, aber auf jeden Fall empfehlenswert!

Die Autorin
Dr. Birgit Ebbert, geb. 1962 in Borken/Westfalen, studierte in Bonn und Münster Erziehungswissenschaften, Psychologie und Soziologie. 1993 promovierte sie über Erich Kästner. Nach Stationen in Stuttgart und Bochum lebt sie heute in Hagen und ist als selbstständige Unternehmerin und als freie Autorin tätig. Sie kann auf eine Vielzahl an Veröffentlichungen im Bereich Jugendbuch, Ratgeber und Lernhilfen zurückblicken.
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