Marc Voltenauer: Wer hat Heidi getötet? Kriminalroman

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Vandam
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Marc Voltenauer: Wer hat Heidi getötet? Kriminalroman

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Marc Voltenauer: Wer hat Heidi getötet? Kriminalroman, OT: Qui a tué Heidi?, aus dem Französischen von Franziska Weyer, Köln 2022, Emons-Verlag, ISBN: 978-3-7408-1536-3, Klappenbroschur, 416 Seiten, 14,1 x 3,3 x 21,6 cm, Buch: EUR 18,00 (D), EUR 18,50 (A), Kindle: EUR 13,99, auch als Hörbuch lieferbar.

Der Held, der Schweizer Kriminaloberkommissar Andreas Auer (40) liebt seine Familie und hat ein Herz für Tiere. Davon abgesehen finde ich den Kerl ziemlich unausstehlich – selbstverliebt, eitel und snobistisch –, weshalb ich die ersten hundert Seiten nur zähneknirschend überstanden habe. All die ausführlichen Beschreibungen seiner gehobenen Lebensumstände (Haus! Auto! Kulinarische Genüsse! Edler Whisky und teure Zigarren!) sind mir ziemlich auf die Nerven gegangen. Ja, zefix, ich hab’s ja begriffen: Der Herr Kommissar und sein Lebensgefährte sind gebildet, wohlhabend und kultiviert!

Weil ich aber weiß, dass der Autor düster-spannende Geschichten konstruieren und erzählen kann, bin ich am Ball geblieben.

Vom Dienst suspendiert

Gryon/Schweiz, Frühjahr 2013: Vor rund einem Jahr hat Kommissar Andreas Auer in einer Mordserie an seinem neuen Wohnort, dem waadtländischen Bergdorf Gryon, ermittelt und eine Tatperson laufen gelassen. Er fand, dass sie aus gutem Grund gehandelt hat. Das dachten wir Leser:innen zwar auch, aber als Polizist steht ihm diese Handlungsoption eigentlich nicht offen (Marc Voltenauer: DAS LICHT IN DIR IST DUNKELHEIT).

Auers Fehlverhalten ist zwar nie ans Licht gekommen, aber er hat ein moralisches Problem damit. Darüber schlittert er in eine handfeste Krise, die in einem Eklat an seinem Arbeitsplatz gipfelt. Jetzt ist er vom Dienst suspendiert und weiß nichts mit sich anzufangen.

Tödlicher Konkurrenzkampf?

Aus Langeweile lässt der Kommissar a.D. sich darauf ein, einem befreundeten Landwirt bei den Vorbereitungen für eine Rinder-Zuchtschau zu helfen. Er, der pingelige Stadtmensch, der von Landwirtschaft keine Ahnung hat, putzt und striegelt nun Kühe. Bauer Antoine Paget und sein erwachsener Sohn Vincent haben einen Heidenspaß daran, dem Kommissar das Wichtigste beizubringen. Zur allseitigen Überraschung stellt sich der Tierfreund recht geschickt an.

Auer hätte nur im Leben nicht gedacht, dass die Landwirte den Schönheitswettbewerb ihrer Kühe so todernst nehmen. Am Tag der Veranstaltung kommt es zu einem schockierenden Zwischenfall – und am nächsten Tag liegt einer der örtlichen Bauern erschlagen in seinem Stall. Der Fall scheint klar zu sein. Der Konkurrent wird verhaftet. Nur Andreas Auer glaubt, dass es sich seine Kolleg:innen hier ein bisschen zu einfach machen.

Jetzt hat er ja Zeit, jetzt kann er privat ermitteln. Zusammen mit seinem Lebensgefährten, dem Journalisten Mikael Achard (35) geht er der Sache auf den Grund. Und tatsächlich passt hier so manches nicht zusammen.

Männer mit Geheimnissen

Wir Leser:innen wissen, was der Polizei noch verborgen bleibt: Ein professioneller Auftragsmörder ist unterwegs und räumt für einen nicht näher bezeichneten Auftraggeber gezielt Personen aus dem Weg. Sein Job führt ihn auch nach Gryon. Aber bislang waren seine Opfer hochkarätige Geschäftsleute. Ein einfacher Bauer aus dem Waadtland würde doch gar nicht in sein Raster passen, oder? Nur eine alte Tante hat finanziell von dessen Tod profitiert, und die wird ja wohl kaum einen russischen Killer engagiert haben!

Und noch etwas wissen wir, was der Gryoner Neubürger Auer noch nicht mitgekriegt hat: Die Kumpels von Antoine Pagets Sohn Vincent sind ganz schön verkorkste Typen: Probleme mit Frauen, Drogen und Alkohol, Spätfolgen traumatischer Erfahrungen in der Kindheit und Jugend, Schwierigkeiten in der Familie und am Arbeitsplatz … selbst Vincent hat seine Geheimnisse.

Ein junger Mann entwickelt sich vor unseren Augen vom harmlosen heimlichen Crossdresser zum Entführer und Frauenmörder. Nur wissen wir nicht, wer das ist, weil der Autor ihn nicht mit Namen nennt.

Ein Fall, zwei Fälle – oder drei?

Als die erste Frau gefunden wird, kennen sich Andreas und Michael gar nicht mehr aus: Wurden der Landwirt und die Frau Opfer desselben Täters oder sind das zwei voneinander unabhängige Fälle? Gute Frage! Je weiter ihre unautorisierten Ermittlungen fortschreiten, desto schwieriger lässt sie sich beantworten. Irgendwann kommt der unerschrockene Mikael bei seinen Recherchen der Wahrheit gefährlich nahe. Lebensgefährlich nahe …

Die Geschichte ist so packend und clever konstruiert, dass man unbedingt wissen will, wie das alles zusammenhängt und vor allem, wie es ausgeht. Gut, vielleicht ist das persönliche Umfeld des Kommissars ein bisschen zu stark in die Fälle involviert. Aber darüber vergeht ihm wenigstens die ewige Angeberei. :-D. (Wenn nur ein Funken Ironie in dieser permanenten Selbstbeweihräucherung läge, fände ich es ja amüsant. Aber so …!)

Die Handlung ist komplex, doch Auer und sein Partner dröseln die Verwicklungen in ihren Gesprächen so auf, dass man garantiert alles mitbekommt. Als routinierter Krimileser fühlt man sich da fast schon ein bisschen überbetreut. Den einen oder anderen Schluss hätten wir auch selbst ziehen können.

Der Showdown ist der Hammer!

Der dramatische Showdown lässt einen sprachlos zurück. Das ist der Hammer! Wenn jemals rauskommt, was da wirklich passiert ist, wird das dermaßen übel ausgehen …!

Hat am Schluss jeder gekriegt, was er verdient? Nein. Das ist hier so wie im wahren Leben. Sind alle Fragen beantwortet? Auch nicht. Okay, man weiß jetzt, wer wem aus welchen Gründen was angetan hat. Aber jetzt wüsste ich auch gerne, wie das mit Mikael weitergeht und was es mit Auers ständigen Alpträumen auf sich hat. Die müssen etwas mit seiner Kindheit zu tun haben. Seine ältere Schwester weiß mehr darüber, hat ihn aber nie über die Hintergründe aufgeklärt. Und was mit der Pfarrerin der Gemeinde wird, die wir schon seit Band 1 kennen, beschäftigt mich auch.

Trotz nervigem Held: Ich will Band 3!

So sehr mich der selbstgefällige Held nervt: Wenn es einen dritten Band geben sollte, werde ich auch den lesen und mich wieder über Auers Angeberei aufregen. Ich kann mir nicht helfen: Mich faszinieren einfach Marc Voltenauers düstere Geschichten.

Es wäre sinnvoll, Band 1 zu kennen, um in diesem Band die Hauptfiguren verstehen zu können und das Problem zu begreifen, das Auer mit der Pfarrerin hat. Das wird zwar alles kurz angesprochen, bleibt aber doch etwas diffus.

PS: Ab und zu mal ist von einem „Alphalet“ die Rede. Ich vermute, dass ein „Alp-Chalet“ gemeint ist und lediglich ein Buchstabe fehlt. Die Formulierung „eine Frau aus Haut und Knochen“ (Seite 384) ist auch ein bisschen seltsam. Das sollte wohl „aus Fleisch und Blut“ heißen.

Der Autor

Marc Voltenauer, geboren 1973 in Genf, studierte zunächst Theologie und arbeitete dann im Bankwesen und in der Pharmaindustrie. Seine Romane gewannen in der Schweiz renommierte Literaturpreise. Er lebt mit seinem Partner in dem kleinen Dorf Gryon in den Waadtländer Alpen, das ihm als Inspiration für seine Romane dient. www.marcvoltenauer.com (Internetseite auf Französisch).
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