Eva Maria Nielsen: Auf Wiedersehen, kleiner Bruder (6 bis 12 J.)

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Vandam
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Eva Maria Nielsen: Auf Wiedersehen, kleiner Bruder (6 bis 12 J.)

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Eva Maria Nielsen: Auf Wiedersehen, kleiner Bruder (6 bis 12 J.). Ein tröstliches Vorlesebuch über Krankheit und Tod, Paderborn 2022, Bonifatius GmbH Druck | Buch | Verlag, ISBN 978-3-89710-938-4, Hardcover, 165 Seiten mit s/w-Illustrationen von Rebecca Meyer, Format: 14,1 x 1,8 x 21,9 cm, Buch: EUR 18,00 (D), EUR 18,50 (A).

„Ich kann nicht schlafen, bin so wütend auf Paul. Klar, er kann nichts dafür, dass er den Tumor bekommen hat. Trotzdem bin ich sauer. Stinksauer. Warum musste ausgerechnet Paul krank werden? Mein kleiner Bruder? Jetzt haben Mama und Papa nur Zeit für ihn.“ (Seite 107)

Es könnte alles so schön sein! Die Schulferien beginnen und Leo (9) und seine Familie müssen nicht einmal verreisen, um ihre freie Zeit am Meer verbringen zu können. Sie leben an der Ostküste Dänemarks. Gleich hinter der Straße fängt der Strand an, und dann kommt schon die Ostsee. Herrliche Wochen liegen vor ihm, denkt Leo. Faulenzen, baden, mit seinem kleinen Bruder Paul (7) ein bisschen Fußball spielen, die neuen Nachbarn besser kennenlernen. Vor allem deren Tochter, die rothaarige Josie. Das haben wir schon kapiert! 😉 Und vielleicht nimmt ihn der Vater auch auf die eine oder andere Motorradausfahrt mit.

Leos kleiner Bruder ist schwer krank

Doch dann kommt alles anders. Auf einmal fühlen sich die Ferien gar nicht mehr wie Ferien an, sondern wie ein nicht enden wollender Albtraum. Leos Bruder wird krank, und bald stellt sich heraus, dass das nicht nur ein Sonnenstich oder eine Sommergrippe ist. Es ist was wirklich Schlimmes. Von da an geht’s in raschem Wechsel rein ins Krankenhaus und raus aus dem Krankenhaus. Und wieder rein und wieder raus …

Die Eltern sind natürlich immer um Paul herum und versorgen auch das jüngste Geschwisterchen, Baby Anna – nur Leo kommt zu kurz. Er sieht schon ein, dass die Eltern sich vordringlich um den kranken Paul kümmern müssen, aber er selbst ist ja auch noch ein Kind, das die Eltern braucht. Oder sonst einen erwachsenen Ansprechpartner, dem er vertraut.

Die Eltern, besonders die sehr gläubige Mutter, versuchen, Zuversicht zu verströmen, aber Leo hat ein feines Ohr für falsche Töne. Er ahnt, dass die Erwachsenen selbst nicht so recht daran glauben, dass sein Bruder wieder gesund werden wird. Vielleicht hat Nachbarstochter Josie, selbst eine Halbwaise, ja recht, wenn sie sagt, dass er sich vorsichtshalber darauf einstellen solle, dass Paul an der Krankheit sterben könne. Für diesen Fall bietet sie ihm an, ihn zu einer Gruppe für trauernde Kinder mitzunehmen.

Wird jetzt alles wieder gut?

Leo will das aber nicht wahrhaben. Für kurze Zeit sieht es auch wirklich so aus, als ob alles gut werden könnte. Paul kommt nach Hause. Und weil er zu schwach ist, um längere Strecken zu Fuß zu gehen, kutschieren Leo und Josie ihn in einer Schubkarre durch die Gegend. Josie schießt jede Menge Fotos und alle drei haben viel Spaß. Nachbar Knudsen sieht das freilich anders. Er hat dank der drei übermütigen Kinder eine sehr unerfreuliche Begegnung mit einem Kürbis … 🎃

Doch dann geht’s Paul wieder schlechter und das ganze Spiel geht von vorne los. Als Paul seinem großen Bruder schließlich anvertraut, dass er es wohl nicht schaffen wird, wieder gesund zu werden, dass er aber nicht wisse, wie er es den Eltern beibringen soll, weiß Leo, womit er zu rechnen hat.

Leo wird zum „Schattenkind“

In Hospizschwester Bea, die Paul jetzt zuhause pflegt, findet Leo zum ersten Mal seit langer Zeit einen Erwachsenen, der ihn zur Kenntnis nimmt, ihm Aufmerksamkeit schenkt und ihm etwas Gutes tun will. Na ja, sie ist ein Profi und dürfte das Phänomen der „Schattenkinder“ nur zu gut kennen. Wer den Begriff noch nie gehört hat: Das sind Kinder, deren Geschwister eine Behinderung haben oder schwer erkrankt sind, wodurch sich die Aufmerksamkeit der Erwachsenen allein auf diese richtet. Die Nöte und Bedürfnisse der gesunden Geschwister werden dabei oft übersehen.

Eltern und Großeltern haben diese professionelle Erfahrung natürlich nicht. Sie sind mit der Situation genauso überfordert wie Leo. Ebenso bezeichnend wie herzzerreißend fand ich, wie Leo von den Großeltern betreut wird, während seine Eltern bei Paul im Krankenhaus sind. Und statt sich dem ältesten Enkel zu widmen, räumt Oma den Haushalt ihrer etwas chaotischen Schwiegertochter um und der Opa jätet wie besessen das Unkraut im Garten. Ja, sicher, sie meinen es gut. Das ist eben ihre Art, Ordnung in einer Welt zu schaffen, die komplett aus den Fugen geraten ist. Aber Küchenschränke und Giersch sind in diesem Fall vermutlich die falschen Prioritäten.

Trauerbegleitung für Kinder: Was man wissen sollte

Damit andere nicht dieselben Fehler machen wie die Romanfiguren, findet man im Anhang „Die zehn wichtigsten Dinge für alle, die Kinder in ihrer Trauer begleiten“. Für diese Zielgruppe – Geschwisterkinder, Eltern, Pädagogen, Freunde und vertraute Menschen – ist das Buch gedacht. Es ist traurig und zutiefst berührend. Das liest man nicht einfach so zum Spaß, dazu braucht’s einen ernsten Anlass.

Im Nachwort schreibt Beate Danlowski, Leiterin des Kinderhospizdienstes des Caritasverbandes in Berlin:
„Eva Maria Nielsen […] greift in ihrem Buch alle Themen auf, die für Geschwisterkinder wichtig sind. Alle Familienangehörigen leiden auf ihre Weise, was in dem Buch empathisch und für Kinder sehr verständlich thematisiert ist.“ (Seite 164)

So traurig die Geschichte vom sterbenden kleinen Bruder ist: Ein bisschen gibt das Buch auch Hoffnung. Das Leben wird natürlich nie mehr so sein wie früher, aber es wird auch wieder schöne und glückliche Momente geben. Auch wenn man sich das im Augenblick noch gar nicht vorstellen kann.

Die Autorin

Eva Maria Nielsen, Jahrgang 1967, studierte Theologie und Religionswissenschaft in Münster, Paris und Århus. Sie lebt seit 1994 in Dänemark, wo sie in Krankenhausseelsorge, Jugendseelsorge und Evangelisierung tätig war. Sie gehört zur Teresianischen Karmel Gemeinde in Birkenwerder und bietet regelmäßig in Birkenwerder und in Dänemark karmelitanische Exerzitien an. Heute lebt sie als freischaffende Autorin in Kopenhagen.

Die Illustratorin

Rebecca Meyer hat Design in Dortmund studiert und ist seit 2004 als freischaffende Illustratorin, Cartoonistin und Karikaturistin tätig.
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