Jo Callaghan: In the Blink of an Eye. Kriminalroman

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Vandam
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Jo Callaghan: In the Blink of an Eye. Kriminalroman

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Jo Callaghan: In the Blink of an Eye. Kriminalroman, OT: In the Blink of an Eye, aus dem Englischen von Sabine Thiele, München 2023, Piper Verlag, ISBN: 978-3-492-06334-0, Klappenbroschur, 440 Seiten, Format: 13,6 x 3,65 x 20,5 cm, Buch: EUR 17,00 (D), EUR 17,40 (A), Kindle: EUR 14,99, auch als Hörbuch lieferbar.

„Künftig heißt es künstliche Intelligenz gegen menschliche Erfahrung. Logik gegen Instinkt. Werden sie einen gemeinsamen Nenner finden?“ (Aus dem Klappentext)

Pilotprojekt: KI-Ermittler bei der Polizei

Bei der Polizei von Leek Wotton/Warwickshire – wohlweislich nicht in London! – soll testweise eine auf künstlicher Intelligenz basierende Ermittlungseinheit implementiert werden. Den KI-Polizisten dürfen wir uns ungefähr so vorstellen wie den holographischen Doktor, das medizinische Notfallprogramm aus der Fernsehserie STAR TREK: RAUMSCHIFF VOYAGER – allerdings dunkelhäutig wie seine Schöpferin Professor Okonedo. Und mit den sozialen Unzulänglichkeiten des Androiden Data aus STAR TREK: THE NEXT GENERATION.

Künstliche Intelligenz ist per se nichts Schlechtes. Lock, so der Rufname der KI/des Hologramms, kann in Sekundenschnelle Datenmengen analysieren, für die Menschen Wochen bis Monate bräuchten. Er kann Unmengen von Informationen verarbeiten und Schlüsse daraus ziehen. Und er schert sich nicht um Genehmigungen und Datenschutz, er greift einfach auf alles zurück, was irgendwie verfügbar ist. Das ist praktisch, wenn auch nicht ganz korrekt. Noch schaut niemand so genau hin …

Zweifelhafte Motive

Wenn man Lock jetzt noch beibringt, dass man bei Menschen mit kompromissloser Ehrlichkeit nicht weit kommt, könnte das was werden. Ein gemischtes Team aus Menschen und KI wäre eine interessante Option. Nur haben diejenigen, die das Pilotprojekt umsetzen sollen, zum Teil dubiose Motive.
  • Die Innenministerin will mit der KI die Polizeiarbeit effizienter machen und vor allem Personalkosten sparen, was ihrer politischen Karriere förderlich wäre. Das ist nicht sehr nett aber nachvollziehbar.
  • Die junge Professorin Okonedo hat mit der britischen Polizei schlechte Erfahrungen gemacht. Sie möchte mit der KI das ihrer Meinung nach korrupte und rassistische Polizeisystem nicht unterstützen und verbessern, sondern von innen heraus zerstören.
  • Chief Constable McLeish, der für das Pilotprojekt Leute zur Verfügung stellen soll, will, dass dieser neumodische Unfug scheitert. Aber er sieht hier ein Einsatzgebiet für Detective Superintendent Kat Frank (45), die zwei Jahre lang pausiert hat, um ihren todkranken Mann zu pflegen und sich um ihren depressiven Sohn (18) zu kümmern. Jetzt ist sie wieder zurück. Aber wie belastbar kann diese Frau noch sein?
  • Detective Superintendent Kat Frank glaubt erst, ihr Chef wolle sie mit dem KI-Projekt auf den Arm nehmen. Das wäre ein ganz schlechter Witz, weil aufgrund einer KI-basierten Fehldiagnose für ihren Mann jede Hilfe zu spät kam. Dass sie auf das Thema seither allergisch reagiert, müsste ihr Vorgesetzter eigentlich verstehen. Kat, seit 25 Jahren eine erfolgreiche Polizistin, setzt lieber auf Bauchgefühl als auf Technik. Es wäre ihr eine Genugtuung, wenn das KI-Projekt floppen würde.
  • Sogar Lock, die KI, hat eine Meinung zu dem Projekt. Zwar leuchtet ihm ein, dass er in Sachen Polizeiarbeit noch dazulernen muss, doch er weigert sich, die Menschen als Krone der Schöpfung zu akzeptieren. Warum sollte er ihre Emotionen und ihr irrationales Verhalten verstehen und imitieren lernen, wenn seine eigene Art zu denken wesentlich zielführender ist?
Das Pilotprojekt steht also von Anfang an unter keinem guten Stern. Aber keine:r der Beteiligten hat eine Wahl, also kommt es zustande. Doch statt eines kompletten Teams, das Kat angefordert hat, bekommt sie lediglich den ehrgeizigen und etwas großspurigen DI Rayan Hassan, der gleich ihre Autorität in Frage stellt und die Professorin anbaggert, sowie die blutjunge DS Debbie Browne, die wegen persönlicher Probleme nicht ganz bei der Sache ist. Darüber hinaus hat sie nur „eine Wissenschaftlerin, die aussah wie eine Studentin, und deren verdammten Computer“ (Seite 25)

Zwei Cold Cases – ein einziger Fall?

Einen Cold Case soll das experimentelle Team bearbeiten. Dabei kann es keinen Schaden anrichten. Weil sich die Teilnehmer nicht auf einen Fall einigen können, nehmen sie sich zwei relativ aktuelle Vermisstenfälle vor: Theaterwissenschaftler Will Robinson, 21, weiß, hat an einem Abend vor 6 Monaten die Wohnung verlassen, um in einen Pub zu gehen und ward nie mehr gesehen. Politikstudent Tyrone Walters, 19, dunkelhäutig, verschwand vor fünf Monaten nach einem Treffen mit einer Kommilitonin. Beide junge Männer kamen aus einem intakten Umfeld, hatten große Pläne und keinen Grund, freiwillig unterzutauchen.

Lock kommt mit irrwitzigen Statistiken daher, schockiert die Mütter der Vermissten mit taktlosen Bemerkungen und erkennt als gemeinsamen Nenner der beiden Fälle defekte Überwachungskameras und einen Krankenwagen. Das Team lacht ihn aus. Na, am Unterschied zwischen Kausalität und Korrelation wird er wohl noch arbeiten müssen!

Es wird persönlich: Kats Sohn verschwindet

Kat vertraut auf ihre Intuition und sieht bei Will Robinson und Tyrone Walters Übereinstimmungen im familiären Bereich. Aber niemand nimmt das ernst. Alle denken, sie vermische hier private Erfahrungen mit dem aktuellen Fall. Es kommt zum Eklat und Kat ist raus aus dem Projekt.

Plötzlich ist ihr Sohn verschwunden! Er würde, laut ihrer Theorie, perfekt in das Raster passen. Aber sie kann nicht im Fall eines Angehörigen ermitteln und ihr ehemaliges Team verschwendet, ihrer Ansicht nach, seine Zeit mit unnützen Aktivitäten. Und Zeit ist das, was sie in diesem Fall nicht haben!

Jetzt fragt man sich als Leser:in: Wenn an Kats Verdacht etwas dran ist, müsste dann nicht Lock mit seiner unbestechlichen Logik dieses Muster ebenfalls erkennen? Und wenn ja, würde irgend jemand auf ihn hören? Die denken ja alle, dass Kat spinnt.

Das Ermittlerteam mit seinen inneren und äußeren Konflikten ist klasse. Und wer das intelligente Auto K.I.T.T. in der Fernsehserie KNIGHT RIDER geliebt hat und die nichtmenschlichen STAR-TREK-Helden mochte, wird sich rasch mit Lock anfreunden. Für mich war er von Anfang an eine Person, also ein „Er“, während Kat von ihm hartnäckig als „es“ spricht. Also bitte, wie kann denn ein Hologramm, das aussieht wie Chadwick A. Boseman, ein „Es“ sein?“ 😉

Logik versus Intuition?

Kat Frank als Heldin ist ein bisschen sperrig. Sie hält ihre Intuition für das Maß aller Dinge. Das denkt Lock von seiner Logik allerdings auch. Solange sich diese beiden Positionen als unvereinbare Gegensätze gegenüberstehen, ist das Projekt zum Scheitern verurteilt. Lock erweist sich zum Glück als lernfähig, Kat zumindest als selbstkritisch.

Der Fall selbst ist nicht so rasend originell – man ahnt schnell, worauf es hinausläuft – und ein bisschen viele Wiederholungen gibt’s auch. Die Anzahl möglicher Motive ist vermutlich nicht unendlich, und wer viele Krimis konsumiert hat, hat irgendwann alles schon mal gehört oder gesehen. Dennoch ist der Wettlauf mit der Zeit sehr packend geschildert und der Showdown hochdramatisch. Die Stärke der Geschichte liegt meines Erachtens an der Art, wie die Menschen und die KI interagieren.

Band 1 einer Serie

Als Leser:in erkennt man einen klaren Vorteil in der Zusammenarbeit mit Lock. Wenn endlich mal alle aufhören würden, ständig recht haben zu wollen und wirklich kooperieren würden, würde die Polizeiarbeit tatsächlich effizienter werden. Diesen Lernprozess würde ich gerne begleiten und sehen, was dabei herauskommt, wenn Mensch und KI ihre jeweiligen Stärken ausspielen dürfen. Deswegen freut es mich, dass das eine Serie werden soll. Ich bin gerne wieder dabei. In den Folgebänden muss man auch nicht mehr so viel erklären und kann schneller in die Handlung springen.

Ach ja: Und bei Sabine Thieles Übersetzung hatte ich nie das Gefühl, einen ursprünglich englischen Text zu lesen. So muss das sein!

Die Autorin

Jo Callaghan arbeitet hauptberuflich als leitende Unternehmensstrategin und hat die zukünftigen Auswirkungen von künstlicher Intelligenz und Genforschung auf die Arbeitswelt erforscht. Nachdem sie ihren Mann 2019 an Krebs verlor, begann sie an ihrem Kriminalroman-Debüt zu schreiben. Sie lebt mit ihren beiden Kindern in den Midlands und arbeitet derzeit am zweiten Band der Reihe. Folgen Sie Jo Callaghan auf Twitter unter @JoCallaghanKat.
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