Inge Zinßer: Das kleine Seelencafé. Roman

Stellen Sie ein Buch detailliert vor - mit Inhaltsangabe und Ihrem Urteil.
Antworten
Benutzeravatar
Vandam
Beiträge: 1617
Registriert: Do 22. Sep 2005, 15:40
Kontaktdaten:

Inge Zinßer: Das kleine Seelencafé. Roman

Beitrag von Vandam »

Bild

Inge Zinßer: Das kleine Seelencafé. Roman, Meßkirch 2023, Gmeiner Verlag, ISBN ‎978-3-8392-0462-7, Softcover, 231 Seiten, Format: 12,2 x 1,8 x 20,4 cm, Buch: EUR 12,00 (D), EUR 12,40 (A), Kindle: EUR 9,99.

„Wie wäre es, überlegte Fine, wenn wir so eine Art kleines ‚Friedhofscaféle‘ hätten? Offen für jedermann, für Trauernde und Nicht-Trauernde.“ (Seite 15)

Weil die Autorin bei uns aus der Gegend kommt und auch die Geschichte hier im Schwäbischen spielt, hat unsere regionale Tageszeitung über dieses Buch berichtet. Die Hauptpersonen sind im beginnenden Rentenalter – so wie ich. Sie meistern ihr Leben mit einer gesunden Portion Humor und Gelassenheit. Daraus schloss ich, dass ich mich mit dem Romanpersonal gut würde identifizieren können. Und so war’s dann auch. Hier ist alles wie im richtigen Leben, nur eben ein bisschen netter.

Ein Plätzle zum Verschnaufen

Darum geht’s: Josefine „Fine“ Eichinger, Anfang 60, wohnt schon immer in Steiglingen, einem (fiktiven aber typischen) schwäbischen Dorf. Sie ist verheiratet, mehrfache Mutter und Großmutter und war nur bis zum ersten Kind berufstätig. Eigentlich müssten wir beide uns gekannt haben, weil wir offenbar zur selben Zeit für einen Stuttgarter Schulbuchverlag gearbeitet haben. 😉

Im Moment ist Fine schwer genervt von der Grabpflege auf dem örtlichen Friedhof. Als ihre Schwiegereltern hier ihre letzte Ruhestätte fanden, hat niemand daran gedacht, was es im Herbst bedeutet, wenn ein Grab direkt unter einer mächtigen Eiche liegt. Ständig muss man diese Sch**ß-Eicheln aufsammeln und entsorgen! Wenn es wenigstens eine Möglichkeit gäbe, sich zwischendrin kurz auszuruhen, zu verschnaufen, etwas zu trinken und mit anderen Friedhofsbesucher:innen ein bisschen zu schwätzen. Aber dazu ist es hier, gerade jetzt im Herbst, viel zu ungemütlich. Es wäre schon nett, wenn es in der Nähe sowas wie ein Café gäbe!

Wenn’s kein Café gibt, muss man eins gründen

Fine ist eine Frau der Tat. Wenn es noch kein Friedhofscafé gibt aber Bedarf besteht, dann muss man eben eines auf die Beine stellen. Das sehen andere Friedhofsbesucher:innen und Fines Freundinnen Elfi, Luise und Babsi zum Glück genauso. Direkt gegenüber des Friedhofs besitzt die Gemeinde ein leerstehendes Haus, mit dem gerade nichts geschieht. Bevor das verfällt, könnte man doch dort … Freunde, Verwandte, Bekannte, Vereine und Kirchengemeinden würden bestimmt mithelfen!

Wilhelm Eichinger bremst seine euphorische Gattin ein. So ein Projekt muss gründlich durchkalkuliert, finanziert und genehmigt sein. Erst dann kann man konkrete Pläne machen. Und dabei hat der Bürgermeister das letzte Wort. Fine sieht da kein Problem. Sie war schon immer gut im Motivieren. Ihr Vorbild: Tom Sawyer in der legendären Zaunstreich-Szene.

Der Kämmerer bruddelt, der Bürgermeister knickt ein

Am nächsten Morgen steht sie beim Bürgermeister auf der Matte und argumentiert ihn auf charmante Weise in Grund und Boden. Da mögen der Kämmerer und der Ortsbaumeister noch so viele Bedenken äußern und der Gemeinderat bruddeln ( = maulen): Fine kriegt den Schlüssel fürs leerstehende Haus und die Erlaubnis, dort für zunächst zwei Jahre auf ehrenamtlicher Basis ein Cafè zu betreiben. Wahrscheinlich hätte der Bürgermeister ihr alles zugesichert, nur um sie wieder loszuwerden. Womöglich hofft er auch, dass ihre Begeisterung schnell nachlässt und sie das Projekt gar nicht auf die Reihe bekommt. Ha! Da kennt er sie aber schlecht. Fine ist supergut vernetzt und organisiert ruckzuck Material, „Hilfstruppen“ und alles, was man für ein Café braucht. Auch einen Namen hat das Projekt bereits: „Seelencafé“.

Die Neidhammel sind auch schon da!

Und wie immer, wenn etwas gut läuft, erfolgreich ist und Freude bereitet, ruft das Neidhammel, Miesmacher und missgünstige Zukurzgekommene auf den Plan, die das Caféprojekt mit hinterhältigen Worten und bösen Taten nach Kräften sabotieren. Sogar die Polizei muss anrücken! Was stimmt nicht mit manchen Leuten, dass sie anderen nicht das kleinste bisschen Freude gönnen?

Natürlich kommt’s auch im Umfeld der ehrenamtlichen Helfer:innen zu Veränderungen und „Verwerfungen“: Wer fürs Seelencafé einkauft, bäckt, dort bedient oder putzt, kann daheim seinen Lieben nicht mehr das gewohnte Rundum-Verwöhnprogramm bieten. Das passt nicht allen.

Das sind Probleme, die die Helfer:innen Elfi, Hans und Hedwig nur vom Hörensagen kennen. Sie haben keine Familie (mehr). Manch eine:r, der sich daheim für jede Minute rechtfertigen muss, beneidet die drei um ihre Freiheit. Und manchmal hätten die Alleinstehenden gern ein bisschen was vom Familientrubel ihrer Freunde. Es gibt eben viele Möglichkeiten, das Leben zu gestalten. Jede Entscheidung hat ihre Konsequenzen sowie Vor- und Nachteile. Das ist den Leuten hier durchaus klar.

Sabotage und überzogene Erwartungen

Wie sie ihr Leben auch leben – jetzt müssen sie zusammenhalten, wenn das Projekt „Seelencafé“ überleben soll. Werden sie es schaffen, die Sabotageakte zu überstehen? Können sie den Forderungen ihrer Angehörigen und den stets steigenden Erwartungen der Cafégäste freundlich aber bestimmt Grenzen setzen? Das Café soll ja eine einfache Anlaufstelle für Friedhofsbesucher sein und nicht die Betreiberinnen überfordern.

Und was, zum Geier, ist eigentlich mit Babsis Ehemann Kurt los? Da deutet sich eine handfeste Ehekrise an – und nicht erst, seit Babsi sich im Café engagiert. Aber warum? Babsi hat keine Ahnung und ihr Kurt sagt nix. Können die Damen vom Seelencafé hier helfen?

Die Geschichte ist nicht hochdramatisch, sie ist zutiefst menschlich. Die Autorin kennt ihre dörflichen Pappenheimer und die Sprüche, die sie gewöhnlich raushauen. Und weil sie das hier mundartlich gefärbt – aber dennoch verständlich – tun, höre ich sie geradezu reden. Ob Menschen am Wohnort der Autorin sich oder andere in dem Roman wiedererkennen? Es würde mich nicht wundern!

Wenn man zusammenarbeitet und miteinander statt übereinander spricht, lassen sich viele Probleme erstaunlich schnell und gut lösen. So fix wie hier im Buch geht’s im realen Leben leider nicht immer, aber das Prinzip stimmt. Und so ist die Geschichte herzerwärmend, humorvoll und unterhaltsam. Und ein bisschen kriegen die biederen und „schaffigen“ Schwäbinnen und Schwaben auch ihr Fett weg.

Nur der Obersaboteur des Seelencafés ist für meinen Geschmack ein wenig zu billig davongekommen … 😊 Dieser Person hätte ich gerne ordentlich heimgeleuchtet. Denn das, was die sich geleistet hat, war schon ein starkes Stück!

Die Autorin

Inge Zinßer, Jahrgang 1954, ist Buchhändlerin in Rente. Sie lebt im schwäbischen Hochdorf und hat bereits mehrere Regionalkrimis mit schwäbisch heiterer Note veröffentlicht, die eine wachsende Fangemeinde haben. Wenn man einmal nicht weiß, wo sie gerade ist, findet man sie mit Sicherheit in der nächsten Buchhandlung. Durch ihren Ehemann, der jahrzehntelang Gräber gebaggert hat, ist sie mit dem lokalen Friedhofswesen und seinen Eigenheiten bestens vertraut. Kein Wunder, dass zwei ihrer vier Kriminalromane auf schwäbischen Friedhöfen spielen, so auch ihr neuester Roman „Das kleine Seelencafé“.
Antworten